Die drei Frauen von Westport
Jugendlichkeit umschmeichelte, wenn seine Haut in Sonne und Wind golden schimmerte, seine blassgrauen Augen blinzelnd übers Wasser blickten und das pralle Segel sich vor dem tiefblauen Himmel abzeichnete, an dem kleine Wolken rasch dahinzogen, wenn das Segelboot über das weite blaue Wasser schoss und Miranda ganz still saß und spürte, wie die kühle Gischt ihre Haut benetzte, dann genoss sie in vollen Zügen den Rausch der Geschwindigkeit.
Es war etwas ganz anderes als die eigene Bewegung, jener Zustand, der ihr sehr wichtig war und den sie ständig herbeiführte, indem sie in die Hände klatschte, lebhaft gestikulierte, schwungvoll durch ein Zimmer schritt, aufstand, sich setzte, die Beine überschlug und wieder löste. Bewegung war eine Sprache, die Miranda perfekt beherrschte. Aber auf dem Boot empfand sie etwas anderes. Sie ließ sich mitreißen in die Bewegung des Universums, die nicht ihre eigene war und die sich ihrer Kontrolle entzog. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war Miranda passiv, flog durch die Zeit, ihrem Schicksal entgegen, wie es auch beschaffen sein mochte.
Henry war natürlich auch immer dabei, in eine dicke gelbe R ettungsweste gepackt. An diesem Morgen hatte er die meiste Zeit auf Mirandas Schoß geschlafen. Als er aufwachte, deutete er auf ein Flugzeug, eine Möwe, eine Plastikflasche, die auf denWellen hüpfte, und gab allem einen Namen, so wie Gott in der Bibel die Tiere und Vögel benannt hatte: Flugzeug,Vogel, Flasche. Kinder sind nicht sehr anspruchsvoll, dachte Miranda angesichts seiner Begeisterung, und sie fragte sich, welche R olle sie wohl für den Kleinen spielte. Als sie Henry etwas vorsingen sollte, fiel ihr kein Lied ein außer Puff the Magic Dragon . Bei der Zeile, in der Jackie Paper weggeht, brach Henry inTränen aus.
»Es ist natürlich schon irgendwie traurig«, sagte Miranda entschuldigend zu Kit, der den schluchzenden Jungen in den Arm nahm und ihn zu trösten versuchte. »Aber wer hört denn schon auf denText? Außer vielleicht, wenn man glaubt, dass er vom Doperauchen handelt.«
»Im Ernst? Das hab ich noch nie gehört.«
Kit setzte Henry wieder auf Mirandas Schoß, und der Kleine wischte sein Gesicht an ihrem Pulli trocken. Miranda strich ihm über die seidigen Haare, als sei er eine kleine Katze. Er kuschelte sich an sie, und sie dachte, mein kleiner Schmusekater, brachte dieWorte jedoch nicht über die Lippen.
Kit war so jung, dass ihm seine eigene Kindheit noch sehr nahe war.Wenn er von seiner Familie und seiner Jugend erzählte, strahlte er. Und danach seufzte er immer so zufrieden, als habe er gerade gut gegessen.
Er war jung genug, um ihr Assistent zu sein.
Ein perfekter Assistent, der alles für einen erledigte. Er schenkte ihr aus einer Thermoskanne Kaffee ein. Er schälte eine Orange und reichte ihr duftende Schnitze. Er legte ihr Taue in die Hand und sagte ihr, wann sie ziehen und wann sie locker lassen musste. Genau das war es, was sie all die Jahre gerne als Assistent gehabt hätte: einen Bootsmann.
Dann streckte Kit die Hand über Henry hinweg, der gedankenverloren an einem Plastikdinosaurier nuckelte, berührte Mirandas Kinn und strich mit dem Daumen sachte über ihreWange. Und Miranda verstand, dass er trotz seiner Jugendlichkeit und seiner Fähigkeiten weder ihr Assistent noch ihr Bootsmann war. Es gab keine Hierarchie in ihrer Beziehung, nicht die geringste.
»Ich habe so ein Glück«, sagte Kit. Er blickte auf Henrys glänzende Haare und sah dann wieder Miranda an. »Immer schon.« Dann lächelte er, ein kleines, leicht ironisches Lächeln, und schloss die Augen. »Und ich bin so dankbar«, fügte er hinzu. »So verflucht dankbar.«
Seine Äußerung hatte etwas R ührendes, weil sie sich an hörte, als wisse er, dass ihm sein Glück und all seine Erin nerungen an dieses Glück jederzeit entrissen werden konnten.
»Du hast Glück, Glück zu haben«, sagte Miranda, denn auch sie hatte plötzlich das Gefühl, Glück zu haben. Ihre Agentur brach in Stücke, ihr R uf war ruiniert. Aber der Himmel war blau und das weiße Segel prall vom Wind, und neben ihr summte ein Kind ein Liedchen. Sie brauste übersWasser. Sie saß ganz still da und war doch so schnell.
Nein, nein, gar keine gute Idee, versuchte Miranda sich dann einzureden, aber er hatte sie natürlich geküsst. Danach öffnete er die Augen und blickte in die ihren, und irgendwie war der Abstand zwischen ihnen, jene Distanz aus Meeresluft und Sonnenlicht und Jahrzehnten, einfach
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