Die drei Frauen von Westport
Miranda fühlte sich von diesen Adonisarmen umschlossen, den Heldenarmen, die sie aus der wilden See gerettet hatten. Sie lachte laut, als ihr auffiel, mit welch pathetischenWorten sie ihre klägliche Lage vor sich selbst umschrieb. Als sie lachte, sagte Kit zu ihr, sie sei wunderschön, und weil er sie im Ozean gefunden habe, dürfe er sie auch behalten, das sei nur gerecht so. Miranda erlaubte es sich, in seinen Armen zu verschwinden, sich aufzulösen, und sie fühlte sich schlagartig wie befreit. Das war eine neue Form von Freiheit, dieses Loslassen. Sie ließ jeglicheVerantwortung, jegliches Streben, ihr ganzes Leben vor diesem Augenblick weit hinter sich zurück. Kit entkleidete sie, und Miranda spürte, wie ihre Jeans, ihr Pullover, ihr BH über ihre Haut glitten. Er selbst ließ sich Zeit, zog sich ganz langsam aus, weil er spürte, dass sie ihn dabei beobachtete.
So verbrachten sie beinahe jeden Nachmittag, und Miranda taumelte durch den Rausch ihrer heftigen Gefühle: ihre wilde Gier nach Auslöschung ihrer selbst und der darunterliegenden ruhigen Gewissheit ihrer eigenen Unerschütterlichkeit.
Wenn Henry aufwachte, ließ Miranda Kit im Bootshaus schlafen und ging mit Henry am Strand spazieren. Tümpel schimmerten im dunklen Sand, und die untergehende Sonne brach sich in Glimmersplittern.Wenn es regnete, hockten die beiden sich in ihren R egenjacken hin und beobachteten, wie dieTropfen die glatte Oberfläche der Pfützen am Strand durchbrachen. Sie hielten sich an der Hand und sprachen ganz leise. Obwohl Miranda noch nie religiös gewesen war, dachte sie nun, dass sie bereit wäre, Henry mit Freude und Hingabe zu huldigen. Und das tue ich auch schon, dachte sie.
Auch Cousin Lou war nicht religiös; er behauptete, dass er das Gedenken an seineWohltäterin, Mrs. H., nicht schmälern wolle, indem er andere Götter verehrte. Diese frevelhafte Äußerung fanden sowohl R osalyn als auch Betty etwas erschütternd, aber Annie und Miranda lachten darüber. Seiner mangelnden Frömmigkeit zumTrotz konnte ihr Cousin jedoch einer Gelegenheit für eine Festivität nie widerstehen, und so plante er für R osch ha-Schana ein Essen mit dreißig Personen. Die dreiWeissmann-Frauen waren ebenso geladen wie Kit Maybank und Henry. Zu den anderen Gästen zählten eine Frau, die Cousin Lou unlängst im Schwimmbad vonWestport kennen gelernt hatte, wobei sich herausstellte, dass sie eine entfernte Cousine von R osalyn war; Lous Steuerberater Marty mitsamt seiner mehrere Generationen umspannenden Familie; ein Mann, den Lou vom Golfplatz kannte und der eine zwei Meter lange, knapp einen Zentimeter dicke Klappleiter erfunden hatte; ein Schönheitschirurg, der sich bei Festen großer Beliebtheit erfreute, weil er stets bereit war, seine Lesebrille zu zücken und mal genau hinzuschauen; der Psychiater nebst Gattin; die Anwälte; der Richter; der Metallbildhauer; ein in R ente gegangener Geschäftsführer einesVersandhauses und ein ehemaliger Kulturminister von Estland, den Lou und R osalyn vor dreizehn Jahren in einem Badeort auf Ischia kennen gelernt hatten.
An R osch ha-Schana, einem strahlenden und für die Jahreszeit ungewöhnlich warmenTag, ging keine der dreiWeissmann-Frauen in die Synagoge. Sie taten das schon seit vielen Jahren nicht mehr, und Betty wollte vor allem in diesem Jahr darauf verzichten, weil sie die emotionale Belastung so frisch verwitwet nicht ertragen könne, erklärte sie. Stattdessen saßen die drei auf derVeranda, genossen die Sonne und lasen die Zeitung, bis gegen zwei Uhr Kits weißer Mini auf der Zufahrt hielt.
»Die sind aber sehr früh dran«, bemerkte Betty mit einem Blick auf Henry in seinem Kindersitz und fragte sich, ob ihrem schönen, ruhigenTag gerade der Garaus gemacht wurde.
Miranda warf ihrer Mutter einen Blick zu und ging zum Auto. Sie war ganz aufgeregt, denn sie hatte sich gerade ein Paar Crocs zugelegt, die genau aussahen wie Henrys kleine Gummischuhe. Das war nicht die Art von Schuhwerk, die Miranda jemals für sich in Betracht gezogen hatte – nicht einmal für den Strand –, aber sie hatte sie in einem Laden entdeckt und sich vorgestellt, wie begeistert Henry darüber sein würde. Die Schuhe lagen noch im Karton, doch sie konnte es kaum erwarten, sie ihm zu zeigen.
Sie öffnete die Beifahrertür und wollte Henry abschnallen.
»Nein«, sagte Kit und streckte die Hand aus, als wolle er Henry beschützen. »Ich meine, wir können nicht bleiben. Wir müssen gleich wieder
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