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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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Anstreichen ein, weshalb zwei Wände im Schlafzimmer vom tristen Grau verschont blieben. Der Fernseher plärrte zwar immer noch tagaus, tagein, aber Betty saß nicht mehr davor, sondern ließ sich jeden Morgen an ihrem Schreibtisch nieder und vertiefte sich in die neuesten Unterlagen, die ihr Anwalt geschickt hatte. Sie legte sich eine große Anzahl erlesener Hefter und Ordner zu und sprach mit nahezu altertümlicher Hochachtung von ihrem »Fall«.Wegen ihres »Falls«, verkündete sie, könne sie sich auch nicht mehr ums Einkaufen und Kochen kümmern, denn sie sei zu beschäftigt. Nicht einmal Zeit zum Essen schien sie zu haben, denn sie ernährte sich nur noch von Crackern mit Mandelmus.
    »Ich fühle mich, als sei ich lebendig begraben«, verkündete Miranda eines Morgens.
    »Besser als tot begraben«, erwiderte Betty und blickte von ihren Papieren auf. Dabei lächelte sie fröhlich, um ihreTochter aufzumuntern. Miranda rang sich gelegentlich zu einigenTelefonaten durch, die vollkommen unergiebig waren, und las ab und an ein Manuskript von irgendwelchen Memoirenschreibern, die in der Pampa lebten und noch nichts von ihrer Schmach vernommen hatten. Aber im Grunde verblasste und erlosch Miranda vor den Augen der anderen. Und das alles wegen des jungen Schauspielers?, fragte sich Betty, beantwortete sich die Frage dann aber selbst. Nein, nicht seinetwegen.Wegen einesTraums. EinesTraums, den die meisten Frauen in Mirandas Alter entweder bereits gelebt oder aber aufgegeben hatten. Wieso hatte Miranda so lange dafür gebraucht?
    Betty fiel unvermittelt auf, dass ihre Töchter sie anstarrten.
    »Was ist?«
    »Besser lebendig als tot begraben?«, sagte Annie. »Wohl kaum, Mutter.«
    »Ach, warte nur, bis du so alt bist wie ich.«
    »Gott, ich hoffe, wir hocken dann nicht immer noch in dieser Bude, wenn ich so alt bin«, bemerkte Miranda.
    »Amen«, sagte Annie.
    Betty sah bestürzt aus.
    »Das heißt natürlich nicht, dass du alt bist«, fügte Miranda rasch hinzu.
    Aber Betty war alt, und sie wusste es auch. Das war nicht ihr Problem. Sie legte die Hände auf den Stapel Unterlagen vor ihr. »Seid ihr beide hier so unglücklich?«, fragte sie ernst. »Das ist ja schlimm. Ich dachte, die Abwechslung würde euch guttun. Das tut mir so leid, ihr Süßen. Ich weiß, dass ihr nur meinetwegen hier seid, und ich bin euch sehr dankbar dafür, aber nun schaut, was daraus geworden ist. Ich habe euer Leben völlig durcheinandergebracht, und wofür? Ich fürchte, ich bin schrecklich selbstsüchtig gewesen. Aber ich habe wirklich gedacht …«
    »Nein, Mom, alles in Ordnung, alles gut«, fiel Annie ihr insWort. »Es ist doch wunderschön hier, fast als hätten wir Ferien.« Sie bedeutete Miranda mit einem Blick: Komm schon, pflichte mir bei, damit es Mama besser geht, los doch …
    Aber Miranda schmollte und starrte auf den Boden. »Na, freut mich ja, dass wenigstens irgendwer sich hier wohlfühlt«, sagte sie. Dann stand sie auf, warf Annie einen aufgebrachten Blick zu, zerrte ihren Mantel aus dem Schrank und steuerte zur Tür.
    Annie betrachtete ihre Hände, die sie fest verschlungen hatte. Mit selbigen Händen hätte Annie nun gerne ihre Schwester erwürgt.
    »Ich komm mit«, rief sie in einemTonfall, der ihr noch aus der Zeit vertraut war, als sie ihre Jungs großzog:Wut, die aufgrund von Notwendigkeit einem alchemistischen Prozess unterzogen und in Begeisterung umgewandelt wurde. Vielleicht würde sich draußen an der frischen Luft die Möglichkeit ergeben, richtig mit Miranda zu sprechen. »Spazieren gehen!«, fügte sie deshalb hinzu. »Prima Idee!«
    »So vergnüglich wie ein Picknick«, murmelte Betty düster. »Alles wie ein Picknick.« Und sie wandte sich wieder ihren Papieren zu.
    Die beiden Schwestern gingen bis zum Ende der schmalen Straße. Dort erstreckte sich der Compo Beach. Der Sand war grob und braun, am Himmel trieben dunkleWolken, und dasWasser wirkte düster und aufgewühlt. Eine Hand voll Leute waren am Strand unterwegs, meist Paare mit Hunden.
    »Miranda, sprich mit mir.«
    »Ich werd einfach verrückt hier, das ist alles.Verrückt, verrückt, verrückt.«
    Drei erwachsene Frauen, drei unabhängige, dominante Frauen in einem winzigen, schlecht ausgestatteten Haus? Drei unglückliche Frauen … Annie wollte sich gerade darüber auslassen, dass es völlig normal war, unter solchen Umständen fast durchzudrehen, aber dass diese Lage doch irgendwann ein Ende haben würde, als plötzlich ein Sonnenstrahl durch die

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