Die drei Frauen von Westport
Dann fiel Annie schlagartig ein, dass damals noch ein anderer Mensch dabei gewesen war, und sie fragte sich, ob es ihr wohl gelingen würde, Josie aus ihrem Gedächtnis zu streichen, so wie ihre Großmutter alle Daten ausradiert hatte, die sie als jüngere Frau an den Rand von Fotos geschrieben hatte. »Und ich mag tatsächlich das Pendeln. Das ist immer eine schöne R uhepause.«
Charlie, der sich nun sichtlich entspannte, begann eine ausführliche Schilderung seines letzten Konflikts mit seinem Professor, einem hysterischen, inkompetenten, rüden Tyrannen. Annie lauschte seinen leidenschaftlichen Ausführungen und merkte, wie sie sich erholte. Ihre Jungs waren zuhause. Und sie kampierten fünfTage lang auf Luftmatratzen imWohnzimmer. Annie hörte abends ihr dunkles Lachen, wenn sie sich vor dem Einschlafen im Flüsterton unterhielten. Barthaare verstopften dasWaschbecken, und im Badezimmer standen mehr Lotionen und Cremes herum als Annie selbst benutzte. Die Folien von den Kontaktlinsen der Jungs blieben, noch feucht, amWaschbecken liegen. Saubere Kleider lagen bei den dreckigen in einem chaotischen Haufen auf dem Fußboden. Und Annie hätte sich am liebsten darin gewälzt wie ein Hund in stinkendem Aas.
Und dann, eines Morgens, nach einem kurzen, aber verheerenden Wirbelwind aus frenetischem Suchen,Waschen, Zusammenlegen undVollstopfen vonTaschen, waren sie schlagartig verschwunden.
Als die drei Frauen an diesem Abend im flackernden Licht des künstlichen Kaminfeuers saßen, sagte Miranda: »Jetzt sind wir drei Hühner wieder alleine hier«, und warf mit theatralischer Geste den Kopf in den Nacken.
Annie gab ein leises Gackern von sich.
»Lasst uns doch was singen«, schlug Betty vor. »Das wird uns aufheitern.«
Annie lachte. »Das hast du schon lange nicht mehr probiert, Mom.«
13
Nachdem Nick und Charlie abgereist waren, versank der Haushalt in noch größererTrübsal als vor dem Eintreffen der jungen Männer. Betty raschelte mit ihren Papieren, als wolle sie damit ein Nest auspolstern. Miranda war dazu übergegangen, mit schriller Stimme Nachrichten auf Anrufbeantwortern ehemaliger Kollegen zu hinterlassen.
»Brichst du denn auf dieseWeise nicht alle Brücken hinter dir ab?«, fragte Annie.
»Das will ich hoffen.«
»Sie verhält sich proaktiv«, meinte Betty. »Das ist ein Zeichen für intaktes Selbstwertgefühl, weißt du.«
JedenTag entfernte sich die Duschhaltestange ein bisschen weiter von derWand des Badezimmers. Jeden Abend im Bett versuchte Annie, nicht an ihre Finanzlage zu denken. Diese zwei Elemente prägten ihreTage: Als Erstes löste sich die Aluminiumstange von den dunkelrosa Kacheln ab, während Annie duschte(es kam ihr vor, als könne sie dabei zugucken), dann die abendliche Panik im dunklen Zimmer.
»Uns geht das Geld aus«, sagte sie am Frühstückstisch.
»Ich konnte noch nie gut mit Geld umgehen«, kommentierte Miranda. »Wie man sehen kann.«
»Joseph hat sich immer um all das gekümmert«, sagte Betty und schüttelte betrübt den Kopf. »Na, damit ist es nun aus.«
Und mit diesen Äußerungen war stillschweigend klar, dass Annie sich um die Finanzlage zu kümmern hatte.
Im Gegensatz zu Annies gegenwärtigenWohngenossinnen krempelte Annies vermieteteWohnung indessen die Ärmel hoch, legte sich ins Zeug und schaffte Geld heran. Aber Charlies und Nicks Studienkosten waren nur zumTeil durch Kredite finanziert.Wenn Annie diese Kosten abzog, blieb nicht mehr viel übrig. Einigungen über die Scheidung waren noch in weiter Ferne, weshalb Betty noch weniger Geld zurVerfügung hatte. Und Miranda bekam nurmehr selten einen Honorarscheck von ihren einst berühmten und mittlerweile geschmähten Autoren zu Gesicht, und sogar der Zehnte – wie sie es nannte – wurde einbehalten, solange die R echtslage ungeklärt war. Ansonsten schien sie jeden Cent ausgegeben zu haben, den sie jemals verdient hatte.
Annie, die am Tisch saß und einen Haushaltsplan erstellte, sagte: »Wir geben zu viel aus und nehmen zu wenig ein.«
Die beiden anderen nickten und lasen dann weiter dieTageszeitung.
Als Annie ihre Äußerung mit erhobener Stimme wiederholte, erklärte Miranda ihr geduldig, dass sie nicht auf wundersame Weise zu mehr Geld kommen würden, nur weil Annie ihre Schulden auflistete. Woraufhin Annie erwiderte, bei einem Haushaltsplan ginge es nicht um wundersame Geldbeschaffung, sondern darum, sich klarzumachen, wie viel man ausgeben dürfe. Betty bemerkte, es sei doch wahrhaftig
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