Die drei Frauen von Westport
machte sie und winkte Annie herbei, wobei sie sich nervös umschaute und dann noch einmal den comicartigen Pst-Laut von sich gab.
Belustigt trat Annie zu ihr.
»Was gibt’s denn?«
»Wir müssen reden«, flüsterte Amber.
»Ach ja?«
»Morgen. Zehn Uhr. Fünftes Loch. Kommen Sie alleine.«
»Aber was …?«
»Morgen«, zischelte Amber, drückte dringlich Annies Arm und huschte davon.
Miranda atmete leicht und regelmäßig, obwohl sie verdreht und in ihren Laken verschlungen auf dem Bett lag, ein Anblick der Verzweiflung. Bedauerlicherweise war dies eine Welt, in der eine liebenswürdige, großzügige und temperamentvolle Frau nicht in Frieden lieben konnte. Das war weder gerecht noch normal. Allerdings stellte sich die Frage, ob Miranda jemals bei der Liebe Wert auf Frieden gelegt hatte. Sie fand Frieden langweilig.
Annie gestattete sich Fantasien einer friedvollen Liebe. Zwei Menschen im Bett. Natürlich nach leidenschaftlichem und beglückendem Sex. Aber das lag nun schon eineWeile zurück, hatte sich möglicherweise morgens ereignet, und jetzt war es Abend. Beide lehnten an ihren Kissen und lasen ein Buch. Und immer mal wieder warfen sie einander ein Lächeln zu oder berührten die Hand des anderen.
Das war vielleicht eine banale Szene. Aber was für ein Luxus ist Banalität, dachte Annie, die so viele Abende nur mit ihrem Buch im Bett lag. Genug lieben zu können und genug geliebt zu werden, so viel Liebe geben und empfangen zu können, dass man es sich erlauben konnte, ganze Abende einfach in simpler Freundschaftlichkeit zu verbringen – das war ein R eichtum, den Annie nur schwer ermessen konnte.
Der Mann, der in ihrer Fantasie neben ihr lag, war natürlich Frederick Barrow. Er wandte sich ihr mit diesem beinahe belustigtenVerlangen zu, als sei er erstaunt über seine eigene Bedürftigkeit und sein eigene Heftigkeit. Und er packte ihre Arme und drückte sie aufs Bett, wie er es in New York getan hatte, während im Dunkeln über ihnen der Rauchdetektor blinkte.
Liebende Frauen, dachte Annie, als sie ins Bett ging. Sie lächelte reumütig, dachte daran, dass sie D. H. Lawrence nicht mochte, und fragte sich, was Frederick wohl von ihm hielt und ob sie jemals die Gelegenheit bekommen würde, ihn danach zu fragen.Vor dem Fenster rief eine Eule, und eine andere antwortete. Annie fiel auf, dass sie im wirklichen Leben noch nie zuvor eine Eule gehört hatte. Doch war dies nun das wirkliche Leben? Manchmal kam ihr Leben ihr wie ein Irrtum vor, nicht auf brutale und dramatischeWeise, sondern wie ein schlichter Fehler – als sei sie an einer Kreuzung links abgebogen, obwohl sie scharf links hätte abbiegen müssen, und sei so in die falsche Stadt, den falschen Bundesstaat, das falsche Land geraten; oder als lese sie in einem Buch weiter, nachdem sie eineWeile in den R egen hinausgestarrt hatte, aber inzwischen hatte jemand umgeblättert. Die Eule rief wieder, doch diesmal kam keine Antwort. Es war ein wunderbarer Laut der Nacht, und Annie schlief ein.
Am nächsten Morgen wollte Cousin Lou alle zum Pancakes-Essen ausführen. Annie wusste nicht, wie sie der Einladung ausweichen sollte, um ihre geheimeVerabredung mit Amber einzuhalten, bis Miranda sich weigerte aufzustehen.
»Soll ich hierbleiben und auf sie aufpassen?«, fragte Annie ihre Mutter. »Wäre sicher gut.«
»Armes Häschen«, sagte Betty und küsste Miranda, bevor sie mit den anderen aufbrach.
Wenn Miranda Ähnlichkeit mit einem Häschen hatte, dann lediglich mit einem überfahrenen, dachte Annie bei sich. Über Nacht schien ihr zierlicher Körper knochig und mager geworden zu sein. IhreWangenknochen stachen scharf hervor, und ihre schönen Augen waren stumpf und leblos, anstatt wie sonst lebhaft und spielerisch zu funkeln.
»Ach, lass mich doch bitte alleine«, bat Miranda.
»Dann geh ich einWeilchen spazieren?«
Miranda zuckte kaum merklich die Achseln.
Annie spielte nicht Golf und musste sich erst im Internet den Country Club aufrufen und eine Karte des Golfplatzes studieren, um herauszufinden, wo sich das fünfte Loch befand und wie sie dorthin kommen sollte. Es war ungewöhnlich heiß für Dezember. In der klaren Wintersonne, in der sich die Berge scharf gegen den tiefblauen Himmel abzeichneten, machte sie sich auf denWeg und überlegte, was Amber wohl von ihr wollte.
Es dauerte nicht lange, bis sie es erfuhr. Auf einem kleinen Hügel erwartete Amber sie in dem gelben Golfcart, aufrecht wie ein General auf seinem Prachtross.
Der
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