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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder
Autoren: Horst Biernath
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umspannte den Hörer wie ein Wurfgeschoß.
    »Du scheinst dich aber mächtig zu freuen«, kicherte sie, »bist du bei deinen Begrüßungen immer so herzlich und wortreich? Oder komme ich dir etwa ungelegen?«
    »Entschuldige schon«, murmelte er, »natürlich nicht! Aber ich bin noch nicht ganz wach, und du wirst zugeben, daß dein Anruf einigermaßen plötzlich und überraschend kommt. Von wo aus sprichst du überhaupt?«
    »Vom Hauptbahnhof, und ich habe gerade nachgesehen, daß der nächste Zug nach Greiffing erst in eineinhalb Stunden geht. Und weil ich ziemlich viel Gepäck mithabe, das du sowieso abholen müßtest, meine ich, daß es am gescheitesten ist, wenn du dich in den Wagen setzt und mich gleich abholst — einverstanden? Ich erwarte dich im Bahnhofsrestaurant. Auf Wiedersehen bis dahin!« Es gab ein leises Knacken in der Leitung. Trix hatte aufgelegt. Und in Greiffing drückte Hellwang den Hörer langsam und mit verkniffenem Gesicht auf den Apparat.
    »Holen Sie Ihre Schwägerin ab, Herr Doktor?«
    »Ja, was bleibt mir schon übrig!« antwortete er gereizt und fuhr sich mit der flachen Hand über das stoppelige Kinn. »Ich gehe mich jetzt rasieren. Machen Sie mir inzwischen einen anständigen Kaffee.«
    »Bleibt Fräulein Trix für längere Zeit bei uns?«
    Er hob die Schultern: »Keine Ahnung, aber ich fürchte fast, daß sie sich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet hat.« Er biß die Zähne zusammen, seine Wangenmuskeln traten eckig heraus, es war ihm deutlich anzumerken, daß dieser Besuch ihm äußerst ungelegen kam und daß er vielleicht schon überlegte, unter welchen Vorwänden man ihn auf anständige Art wieder loswerden könnte.
    »Dann werde ich oben das Zimmer für Fräulein Trix herrichten«, meinte Kathi. Es handelte sich um das Gastzimmer im ersten Stock, in dem einmal Fräulein Zögling eine Gastrolle gegeben hatte.
    »Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, knurrte er schlecht gelaunt und verschwand im Badezimmer. Eine halbe Stunde später holte er den Wagen aus der Garage und fuhr in die Stadt. Weder Rasur noch Kaffee hatten seine Laune gebessert. Oben bezog Kathi die Steppdecke und die beiden Kopfkissen. Söhnchen durfte die Knopfleisten einziehen. Später plünderten sie den Garten, schnitten die letzten Rosen, Helianthus und Astern und füllten damit die Vasen im Besuchszimmer und im Eßraum.
    Dr. med. Beatrice Bendig erwartete ihren Schwager Hellwang in dem kleinen Speisesaal des Bahnhofrestaurants. Die offenen Bögen zum Hauptraum waren mit undurchsichtigen Folien verhängt, denn drüben waren Maler und Stukkateure am Werk, die Wände und Decken zu renovieren. Erst bei diesem Anblick war Trix der famose Einfall gekommen, die unerwartete Änderung ihrer Urlaubspläne dem Umstand zuzuschreiben, daß die Maler in ihrem Elternhaus ihr Schreckensregiment errichtet hätten. Sie hatte lange genug vergeblich darüber nachgedacht, wie sie Hellwang ihre überraschende Ankunft stichhaltig erklären sollte. Kathis Brief hatte sie zu einem Zeitpunkt erreicht, als sie die Fahrkarte nach Hamburg tatsächlich schon in der Tasche trug. Die Änderung ihres Entschlusses war im gleichen Augenblick erfolgt, in dem sie Kathis kuriosen Brief erheitert und erschüttert zugleich gelesen hatte. Noch in der gleichen Nacht fuhr sie mit ihren Koffern und der umgewechselten Fahrkarte vom Würzburger Hauptbahnhof in südlicher Richtung ab. Ihre Eltern, die sie am Morgen in Hamburg erwarteten, benachrichtigte sie telegraphisch, daß sie sich in letzter Minute entschlossen habe, einer Einladung Hellwangs nach Greiffing zu folgen.
    Nun saß sie also hier. Ihr Gepäck war zu einem ansehnlichen Berg neben ihrem Stuhl aufgestapelt. Es bestand aus zwei großen Koffern, zwei Köfferchen und einer Reisetasche, deren Reißverschluß offen stand und freigiebig Einblick in das Innere gewährte, in ein wildes Durcheinander von Orangen, Äpfeln, Zeitschriften, Briefen und Gegenständen aus Metall, Glas und Leder, die mit einer Schaufel von ihrem Toilettetisch hineingekehrt zu sein schienen. Es war ein Chaos, jenem vergleichbar, das stets auf Hellwangs Schreibtisch herrschte, aber so wie er sich dort zurechtfand, so fand sie sich hier mit blinder Sicherheit zurecht.
    Sie war jetzt neunundzwanzig Jahre alt. Die durchwachte
    Nacht in dem überfüllten Abteil zweiter Klasse hatte die frischen Farben ihrer Gesichtshaut nicht zerstören können. Hellwang hatte Luisa gegenüber einmal den Vergleich gebraucht, Trix sähe
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