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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder
Autoren: Horst Biernath
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Hellwang ironisch, »vom Brachacker und von der Fruchtfolge...«
    »Gescheiter als ihr blödsinniger Zündfunke ist er auf jeden Fall. Nein, mein neues Schlagwort ist Bipolarität, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
    »Ja, natürlich versteh’ ich’s.«
    »Spannung — Entspannung, Arbeit — Ruhe, und schließlich dürfen Sie sich nach Ihrem letzten Buch wirklich eine Erholungspause gönnen. Sie dürfen nicht nur, Sie müssen!«
    »Schon gut, schon gut, aber ich erhole mich jetzt bereits seit einem guten Vierteljahr«, sagte Hellwang ungeduldig, und der Doktor hatte den Eindruck, Hellwang wünsche das Gespräch nicht fortzusetzen. Sie schwiegen eine kleine Weile. Hellwang qualmte nervös.
    »Ich mache mir Sorgen um Lydia und den kleinen Jungen.«
    »Und ich mache immer wieder die Erfahrung, besonders in kinderreichen Familien, daß sich solche Infektionskrankheiten zumeist nur ein Kind herauspicken, eben das, das im Augenblick der Begegnung mit dem Ansteckungsträger durch irgendeine kleine Unpäßlichkeit anfällig war. Ich glaube also nicht, daß Sie zu Besorgnissen Anlaß zu haben brauchen. Und wenn Britta erst aus dem Haus ist, fällt die Ansteckungsgefahr für die beiden jüngeren Kinder aus. Ich habe auch mit dem Serum bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Wenn ich mich vorsichtig ausdrücke, so geschieht es deshalb, weil ich Ihnen eine Garantie natürlich nicht geben kann. Die beste Devise für Sie in diesem Falle lautet: gefaßt — aber furchtlos.«
    »Das ist aber ein verdammt dünner Trost.«
    »Ich halte es mit einem gesunden Pessimismus. Wie nennen Sie denn eine halbgefüllte Flasche?«
    »Halbvoll natürlich«, antwortete Hellwang ein wenig verdutzt.
    »Dann sind Sie, auch wenn Sie’s nicht wahrhaben wollen, ein Optimist. Für mich ist sie halbleer. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, wahrscheinlich ist er berufsbedingt.«
    Hellwang grinste einen Moment lang amüsiert und stand auf, er reckte sich, als sei sein Blutkreislauf ins Stocken geraten, und ging im Zimmer auf und ab. Er setzte dabei die Füße aufmerksam voreinander, als balanciere er auf der Teppichkante wie auf einem schwankenden Balken, der über einen tiefen Abgrund gelegt war.
    »Natürlich, man muß mit solchen Geschichten ja immer rechnen. Eigentlich ist es fast erstaunlich, daß diese Erkrankung Brittas seit dem Tode meiner Frau der erste ernsthafte Krankheitsfall im Hause ist. Früher lag ja alle Augenblicke eines der Kinder mit irgend etwas auf der Nase, und manchmal alle drei zu gleicher Zeit, mit Mumps, Masern, Keuchhusten — na, Sie wissen es ja am besten, Doktor.«
    Dr. Lechner nickte. Er nahm seine Brille ab und fuhr sich mit Ringfinger und Daumen in die Augenwinkel, in denen sich ein wenig weißes Sekret gebildet hatte. Sekundenlang schaute er blind und mit fremdem Gesicht ins Zimmer. Hellwang blieb stehen, er beugte sich vor und starrte auf das Muster des hellbraunen Teppichs.
    »Ja«, murmelte er, »damals lebte meine Frau. Es war nicht so, daß ich mir um das Schicksal meiner Kinder weniger Sorgen machte, weil ich diese Sorgen mit ihr teilen konnte. Aber ich spürte meine Hilflosigkeit nicht so unbarmherzig deutlich wie jetzt. Ich liebe die Kinder gewiß nicht weniger, als meine Frau sie geliebt hat, aber ich sehe es gerade an solchen Tagen wie heute mit aller Deutlichkeit, daß man als Vater doch sozusagen nur an gesunden Tagen zuständig ist. Wenn den Kindern etwas fehlt, dann verlangen sie halt doch nach der Mutter. — Und ich weiß nicht, wie das werden soll. Die Wirtschaft läuft ohne Frau schließlich auch auf drei Rädern weiter. Aber die Kinder ohne Mutter...«
    Dr. Lechner behauchte die Brillengläser. Er zog ein ledernes Polierläppchen aus der äußeren Brusttasche und rieb sie sorgfältig blank: »Vielleicht erwarten Sie von mir gar nicht, daß ich dazu etwas sage, Hellwang«, meinte er und prüfte die Gläser gegen das Licht, um auch die letzten Trübungen festzustellen und zu beseitigen, »aber ich habe in ihren Gedanken Hintergründe entdeckt, die mir gewisse Gefahren zu enthalten scheinen. — Ich kann es mir sehr gut vorstellen, in welcher schwierigen Lage Sie durch den Verlust Ihrer Frau zurückgeblieben sind. Ich habe sie aufrichtig verehrt, und ich besitze genug Fantasie, um mir vorstellen zu können, wie mich solch ein Schicksalsschlag getroffen hätte. Dabei sind meine Kinder bis auf die Jüngste längst aus dem Haus. — Nun, es wäre fast unnatürlich, wenn in Ihnen nicht der
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