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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder
Autoren: Horst Biernath
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geraten, Herr Doktor! — Ich will Ihnen sagen, wer daran schuld ist: Sie und niemand anders als Sie! Und wenn Sie vielleicht auch noch wissen wollen, woher es kommt?« — Kathi reckte den Arm aus und stach mit dem Zeigefinger wie ein Erzengel mit dem Flammenschwert anklagend in die Richtung des Büfetts: »Daher kommt’s!« flüsterte sie grimmig, »von dem Saufen kommt’s! — Aha, jetza wollen Sie natürlich nichts davon hören, weil Sie Ihnen schämen, daß das Fräulein Trix was davon erfahren könnt’, wie Sie es hier getrieben haben in der letzten Zeit. Monatelang! Monatennn!! — Sie brauchen gar nicht den Finger an den Mund zu legen, hier hört uns keiner! Aber das kann Ihnen heute jedes Kind sagen, was bei der verdammten Sauferei herauskommt: Das Familienleben geht dabei zum Teifi, und die Kinder werden krank oder blöd. Dees is nämlich gewissermaßen piologisch! Und mit der Britta haben Sie es jetzt glücklich erreicht!«
    Über ihre Wangen rollten dicke Tränen, sie fielen auf ihren gewaltigen Busen und versickerten hinter dem Brustlatz ihrer blauen Trägerschürze.
    »Sind Sie jetzt mit Ihrer Gardinenpredigt fertig, Kathi?« fragte Hellwang kleinlaut und mit rotem Kopf.
    »Es hat amal ‘nausmüssen! Lang genug hat’s mich druckt!«
    »Das habe ich gemerkt«, sagte er richtig zerknirscht, »der Pfarrer hätte es nicht besser machen können. Aber ich meine, Kathi, jetzt wollen wir uns wieder vertragen, wie?«
    Kathi fuhr sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht. »Mei’, Herr Doktor«, murmelte sie mit verquollener Stimme und senkte errötend den Blick, »i bin Eahna ja nie bös g’wesen...Aber die selige Frau hat schon recht gehabt, wenn sie immer gesagt hat, von allen Kindern, die wo sie hat, wär’s mit Ihnen am schwersten...«
    Hellwang drehte sich um und trat zum Fenster, er verschränkte die Hände auf dem Rücken und starrte zur Greiffinger Lohe hinüber, deren Wipfel sich herbstlich verfärbt hatten: »Nun machen Sie aber, daß Sie rauskommen«, brummte er, aber es klang nicht beleidigt.
    Vor dem Haus hielt Dr. Lechners grauer Opel, und der Doktor, immer geschäftig und in Eile, stapfte mit der braunen Bügeltasche in der Hand über den Kiesweg zum Haus. Er betreute die Hellwang-Kinder seit ihrer Geburt. Hellwang selber hatte ihm noch nie Gelegenheit gegeben, an ihm seine Kunst auszuüben. Trotzdem schätzte er Hellwangs Bücher und hatte oben im Arbeitszimmer manche Stunde mit Hellwang verplaudert. Vielleicht hätte aus dieser Bekanntschaft im Verlauf der Jahre ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Männern entstehen können, wenn der Doktor mehr Zeit für sein Privatleben gehabt hätte. Aber seine Praxis als praktischer Arzt und Geburtshelfer nahm ihn Tag und Nacht in Anspruch. Setzte er sich wirklich einmal bei Hellwang abends zu einem Glas Mosel nieder, so war hundert gegen eins zu wetten, daß er telefonisch abberufen wurde. Dazu kam eine schwere Kriegsverletzung am rechten Kniegelenk, in dem zahllose winzige Granatsplitter steckten, die bösartige Entzündungen hervorriefen. Wie oft er operiert worden war, wußte er selber kaum noch zu sagen. An einer Amputation des Unterschenkels war er bisher vorbeigekommen, aber sie war sein Damoklesschwert, das ständig über ihm schwebte.
    Hellwang ging dem Doktor entgegen und führte ihn ins Kinderzimmer. Er machte ihn mit Trix bekannt, die er als seine Schwägerin vorstellte, ohne zu erwähnen, daß sie selber Ärztin war. Trix räumte dem Doktor ihren Platz auf dem Bettrand ein, und er setzte sich zu Britta: »Freu dich nur nicht zu früh«, sagte er und tätschelte ihre Hand, »ob du in die Schule gehen mußt oder nicht, das wird sich erst nach der Untersuchung herausstellen. Und wenn du den Mund nicht so groß aufmachst, daß ich dir bis in den Magen hineinschauen kann, schreib ich dich gesund — da kannst du noch so jämmerlich dreinschauen.«
    Britta lächelte matt. Diese Drohung war ihr nicht mehr ganz neu. »Ich gehe aber gern zur Schule«, grinste sie.
    »Solchen Kindern verschreibe ich dann Lebertran, aber nicht etwa die süße Emulsion, sondern den unverfälschten, frisch vom Dorsch gezapften!« sagte der Doktor schlagfertig.
    »Ich mach den Mund schon auf!« versicherte Britta eiligst. Sie war sehr blaß, der Puls ging schwach und unregelmäßig, das Fieberthermometer zeigte 38,9. Der Hals war stark belegt, und die Schluckbeschwerden steigerten sich immer mehr.
    Der Doktor drehte sich zu Hellwang um, der
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