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Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Wunsch nach einer neuen Ordnung in Gestalt einer neuen Ehe auf tauchen würde.«
    Hellwang bewegte die Hand, es sah aus, als wolle er sie protestierend erheben — aber dann ließ er den Arm wieder sinken. Ein Gedanke, der bis dahin ohne Namen und gestaltlos im Dunkeln geschlummert hatte, wurde durch die Worte des Doktors aus ängstlich gehüteter Verborgenheit ans Tageslicht gehoben und ließ sich nicht wieder zurückbeschwören.
    »Etwas eilig, meinen Sie...?« murmelte Hellwang verlegen und vermied es, dem Blick des Doktors zu begegnen.
    »Reden Sie doch keinen Stuß, Hellwang!« rief Doktor Lechner fast ärgerlich. »Oder glauben Sie etwa, daß ich der Mann bin, der Ihnen die Trauermonate am Kalender vorrechnen will? Wenn ich schon das Wort >Trauerjahr< höre, steigt mir die Galle hoch. Als ob unsere Gefühle oder als ob das Leben mit seinen Anforderungen sich nach dem Kalender richtet! Ich habe angenommen, daß Sie mich besser kennen!«
    »Ich hatte wahrhaftig nicht die Absicht, Sie zu kränken. Und außerdem wissen Sie so gut wie ich, daß dieses Gespräch ein theoretisches ist und sich um Möglichkeiten dreht, die ganz gewiß in weiter, weiter Ferne liegen. Aber Sie sehen selbst, Doktor, daß der Zustand, in dem ich augenblicklich lebe, auf die Dauer unhaltbar ist. Allein schon der Kinder wegen wird mir nichts anderes übrig bleiben, als eines Tages...«
    Der Doktor warf den Kopf mit einem scharfen Ruck vor und unterbrach Hellwang mitten im Satz: »Der Kinder wegen!« rief er, und es klang, als nagele er jedes einzelne der drei Worte gesondert an die Wand, »jetzt betonen Sie es schon zum zweitenmal, daß Sie sich nur oder hauptsächlich der Kinder wegen mit dem Gedanken an eine neue Ehe vertraut machen würden. Um den Kindern eine neue Mutter zu geben, wie?«
    »Ich verstehe wirklich nicht, was Ihnen daran so sonderbar erscheint und weshalb Sie diese Äußerung von mir so prononciert hervorheben?«
    »Weil sie als Begründung für eine neue Ehe meiner Meinung nach ein verhängnisvoller Gedanke ist«, antwortete Dr. Lechner freimütig. Er sprang auf und wanderte neben Hellwang im Zimmer auf und nieder. Sein zerschossenes, ein wenig verkürztes Bein schien wie durch ein Wunder geheilt zu sein.
    »Hören Sie, Hellwang«, fuhr er eindringlich fort, »ich meine, daß wir uns nun lange genug kennen, um ein freundschaftlich offenes Wort miteinander reden zu können. Lassen Sie sich jetzt von mir etwas sagen: Wenn Sie die Absicht haben, jemals wieder zu heiraten, dann vergessen Sie, daß Sie Kinder haben! — Denn wen, zum Teufel, wollen Sie eigentlich heiraten? Ein Kinderfräulein etwa? Das heiratet man nicht, sondern das engagiert man und man entläßt es, wenn es nicht mehr benötigt wird oder nicht gut tut. Sonst sind Sie nämlich nach ein paar Jahren die Kinder los — es ist unglaublich, wie rasch sie aus dem Hause wachsen! — und haben bis an Ihr Lebensende das Kinderfräulein auf dem Hals, jawohl! Mein lieber Hellwang, wenn Sie jemals wieder heiraten wollen, dann nehmen Sie die Frau, die Sie lieben und von der Sie geliebt werden. Und wenn Sie diese Frau nicht finden, dann lassen Sie die Hände ganz von der Ehe weg! Aber wenn Sie eines Tages das Glück haben sollten, die geliebte Frau in Ihr Haus zu führen, dann löst sich das andere Problem ganz von selbst, dann werden Ihre Kinder in die mütterliche Obhut kommen, die sie brauchen.«
    Sie standen am Fenster und schauten in den herbstlichen Garten hinaus. Die Trauerweide hatte ihre Blätter schon verloren, sie schwammen wie kleine Boote auf dem trüben Spiegel des Planschbeckens.
    »Wahrscheinlich haben Sie recht, Doktor«, sagte Hellwang nach einer Weile und malte mit der Spitze des Zeigefingers Kringel auf die beschlagene Fensterscheibe, »trotzdem sträubt sich etwas in mir gegen Ihre Gedanken. Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß mir die Einsamkeit oft genug schwer zu schaffen macht. Vorläufig aber ist die Erinnerung an meine Frau in mir noch zu lebendig, und ich hänge in dem Netz, daß die Kinder eine Mutter nötiger brauchen als ich eine Frau.«
    »Zum Teufel, Sie können das eine doch nicht vom anderen trennen!« fuhr Dr. Lechner ungeduldig auf.
    »Richtig, und deshalb wird es auch sehr lange dauern, bis ich mich an den Gedanken an eine neue Ehe gewöhnen kann. Der Wunsch taucht vielleicht dann und wann in mir auf, aber dann kommt der Einwand, den Sie soeben aussprachen — und dann verläßt mich der Mut. Denn ich war zu glücklich

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