Die drei Hellwang-Kinder
verheiratet — und ich fürchte mich vor Enttäuschungen. Ich glaube nicht daran, daß ich jemals die Frau finden werde, die mir das werden kann, was Luisa mir war.«
Der Doktor sah Hellwang über den Brillenrand hinweg fast erschrocken an: »Erwarten Sie etwa eine Fortsetzung oder gar eine Wiederholung Ihrer alten Ehe mit einer anderen Frau? — Mein lieber Hellwang, das wäre allerdings ein verhängnisvoller Wunsch. Das wäre ein Treubruch gegen den Tod und eine Sünde gegen das Leben, und ich fürchte, beide würden sich an Ihnen rächen. Jeder Mensch ist doch eine einmalige Ausgabe. Und jede neue Gemeinschaft ein Zusammenspiel neuer Kräfte. Nein, Hellwang, die Vergangenheit läßt sich nicht wiederholen. Um Gottes willen, vergessen Sie das nie! Eine neue Ehe bringt neue Aufgaben und neue Pflichten, vielleicht auch ein neues Glück, ganz gewiß aber auch eine gehörige Portion an Leid. Ach, mein lieber Freund, wo gäbe es das, daß das Leben uns einen neuen Kredit einräumt, ohne nicht auch gleichzeitig hohe Zinsforderungen zu erheben? Auch Sie werden Opfer bringen und manches aufgeben müssen, woran Sie hingen, Sie werden sich neu einstellen müssen, und es wird Ihnen nicht erspart bleiben, in eine neue Haut zu schlüpfen und die alte zu verbrennen. — Den Altar, den Sie der Toten in Ihrem Herzen errichtet haben, brauchen Sie gewiß nicht zu zerstören. Aber wenn Sie nicht bereit sind, die Vergangenheit ohne Trauer als abgeschlossen, unwiederbringlich und unwiederholbar zu betrachten, dann ersparen Sie sich lieber Enttäuschungen, denn in diesem Falle haben Sie nichts anderes als Enttäuschungen zu erwarten.«
Der Doktor schien noch nicht fertig zu sein, aber er wurde unterbrochen. Der bestellte Krankenwagen gab sein Ankunftssignal, und die >Santöter<, wie Lydia diese tüchtigen Männer nannte, hoben bereits die Tragbahre aus dem Innern und zwängten sich mit ihr durch die Gartenpforte. Hellwang eilte ins Kinderzimmer, um Trix von der Ankunft des Wagens zu benachrichtigen. Britta machte ängstliche Augen, als bereue sie nun doch ihren Mut, aber der Abschied fiel ihr etwas leichter, als sie hörte, daß Trix sie begleiten würde. Inzwischen betraten Dr. Lechner und die Krankenträger auch schon das Zimmer. Britta wurde rasch umgebettet. Kathi stand mit verschwollenen roten Lidern in der Tür.
»Sie, Fräulein Baffaria, mit Eahnana Figur müssen S’ Eahna scho’ a wenig seitli druckn, wann mir vorbeikemma solln«, sagte der Vordermann von den Sanitätern, als sie sich mit ihrer leichten Last zum Wagen in Bewegung setzten.
»Pfüti God, Kathi, und besuch mi fei’«, würgte Britta hervor.
Kathi schluchzte laut auf: »Freilich komm ich, so oft’s nur geht!« Oben schauten Lydia und Söhnchen mit großen, ängstlichen Augen durch die Sprossen des Treppengeländers. Hellwang ging neben Britta her. Er hielt ihre heiße, trockene Hand, die unter der Decke hervorlugte. Es war ein milder Spätoktobertag. Die Sonne stand noch am Himmel, die Luft war golden getönt, aber die Lohe hüllte sich schon in zarte Schleier. Hellwang nickte Britta zu, er bewegte die Lippen, um ein paar Worte zu sagen, die die Kleine aufheitern sollten, aber seine Kehle war wie zugeschnürt.
Die Sanitäter hoben das Kind in den Wagen. Trix kletterte nach und nahm auf einem Notsitz neben der Trage Platz.
»Du meißt fei’ oft kommen, Konni!« rief Britta.
»Jeden Tag, Kleines!« versprach er und winkte ihr zu.
»Alsdann hätten wir’s wohl«, ließ sich der Sanitäter vernehmen und stieg zu seinem Kollegen in die Fahrerkabine. Er nickte Hellwang zu und legte dabei zwei Finger an den Mützenschirm. Sein Ausdruck war teilnahmsvoll ernst und dabei doch irgendwie ermutigend, als wolle er sagen: Nur keine verfrühten Trauerkundgebungen, Herr, hier sind noch die meisten lebendig herausgekommen. Er hatte das ideale Berufsgesicht für einen Mann, zu dessen Aufgaben es gehörte, die Tür eines Krankenwagens zu schließen.
Auch Dr. Lechner ging zu seinem Wagen. Er schüttelte Hellwang durchs Fenster die Hand und rief ihm zu, daß er Trix in seinem Wagen wieder heimbringen werde. Die Autos verschwanden um die Ecke, und Hellwang kehrte mit Kathi ins Haus zurück. Er ging ins Eßzimmer. Kathi schaute ihm mit verkniffenen Lippen nach. Wenn er sich einbildete, im Büfett noch eine Flasche zu finden, dann täuschte er sich.
»Ich mach uns einen Kaffee, Herr Doktor«, rief sie ihm nach, »aber schon ganz was Extrig’s. Ich mein’, Sie werden ihn
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