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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kyber
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Fensternische und beobachtete Pastor Haller, der eifrig sprach und seine liberalen theologischen Ansichten auseinandersetzte. Er hatte das schon bei Tisch getan, und Ulla Uhlberg mußte sich zu einer höflichen Anteilnahme zwingen. Ihr war es grenzenlos gleichgültig, ob Pastor Haller liberal oder orthodox war, und sie wünschte sehnlichst, er möge gehen und sie mit Johannes Wanderer allein lassen. Ihre Finger spielten unruhig mit einer feinen, goldenen Halskette von venezianischer Arbeit. Der Diener servierte lautlos. Pastor Haller war eine gute Erscheinung, noch ziemlich jung und hoch gewachsen, mit einem ernsten und klugen Gesicht, das aber mehr an einen Dozenten als an einen Priester erinnerte. Seine Frau war belanglos hübsch, freundlich und ein wenig ängstlich.
    »Es ist natürlich nicht leicht, moderne Ansichten in Halmar einzubürgern«, sagte Pastor Haller, »die Leute hier sind rückständig, sie glauben an allerlei Wunder, ja sogar an Gespenster, an graue Frauen und kleine Männchen. Es ist schwer, ihnen das abzugewöhnen und sie in die Gegenwart und in den Geist der Aufklärung zu führen. Immer wieder muß ich ihnen versichern, daß es auch bei Jesus nur auf das moralische Vorbild ankommt, nicht auf die alten christlichen Legenden, so sehr ja auch diese ihren poetischen Wert haben mögen.«
    »Es tut mir leid, daß Sie sich hier unter den Leuten nicht einleben können«, meinte Ulla Uhlberg höflich.
    Wenn Pastor Haller bloß ahnte, wie furchtbar einerlei ihr das alles war! Aber sie bot ihm freundlich noch eine Tasse Kaffee an.
    »Ich kann nicht sagen, daß ich mich nicht eingelebt habe, nein, ich fühle mich ganz wohl hier. Aber sehen Sie, es ist keine Gegenwart, in der man hier lebt, es ist eine Vergangenheit, die dem modernen Dasein, den Forschungen von heute nicht mehr standhalten kann. Ich finde das ungesund und versuche durchaus, in einem anderen Sinn auf die Menschen einzuwirken. Man kann doch nicht immer im Mittelalter steckenbleiben.«
    »Aber, Haraldchen«, wandte Frau Haller schüchtern ein, »Papa war doch auch Pastor wie du, und er hat immer streng auf das Wort gehalten und gesagt, daß man nichts davon nehmen dürfe. Und Papa war doch sehr beliebt bei seiner Gemeinde, und ich muß eigentlich auch immer wieder so denken, wie er gedacht hat. Die Leute hier hätten dich sicher auch viel lieber, wenn du ihnen all ihre Wunder lassen wolltest.«
    »Ja, liebes Kind«, meinte Pastor Haller überlegen, »dein Vater hatte eben die andere Richtung, und es war ja auch eine andere Zeit. Dagegen will ich natürlich nichts sagen. Aber wir müssen der Gegenwart Rechnung tragen. Das ganze veränderte Leben heute, die moderne Naturwissenschaft, die Errungenschaften der Technik, das alles sind Faktoren, an denen wir nicht vorbeigehen können. Man glaubt eben nicht mehr an Wunder im alten Sinne, die Legenden sind schöne Gleichnisse, aber worauf es ankommt, ist das, im Christentum ein menschliches Vorbild zu haben. Der Aberglaube vergangener Zeiten ist mit unsern heutigen Erkenntnissen unvereinbar.«
    Frau Haller schwieg bedrückt. Sie ahnte unklar, daß in dem stolzen akademischen Gebäude ihres Gatten etwas nicht stimmte, und sie fühlte es in ihrer Einfachheit viel deutlicher als er, daß die Leute in Halmar gegen diese neue Kirchlichkeit einen Widerwillen hatten, der ihr irgendwie auch als eine Gefahr des eigenen Hauses erschien.
    Ulla Uhlberg unterdrückte ein Gähnen.
    Pastor Haller wurde unsicher und suchte nach einem Stützpunkt.
    »Herr Wanderer«, sagte er, »Sie schweigen immer so hartnäckig. Ja, wenn ich mich recht erinnere, habe ich Sie eigentlich sehr selten sprechen hören. Wie denken Sie über diese Sache? Sie haben sich doch auch dazwischen mit religiösen Fragen beschäftigt.«
    »Ich denke, daß ein Leben ohne Wunder sehr arm ist«, meinte Johannes Wanderer, »ich möchte es nicht leben. Ich sehe in Jesus von Nazareth auch mehr als nur einen großen Menschen, dem man nachleben soll. Das Nachleben glückt auch meistens weder den Liberalen noch den Orthodoxen. Vielleicht gibt es Leute, die mit einer moralischen Doktrin leben können, aber mit ihr allein zu sterben, scheint mir nicht ausreichend. Leben und Sterben aber sind uns gleich nahe an jedem Tag.«
    Pastor Haller räusperte sich. Dieser stille Mensch, der sich immer abseits hielt in Gesellschaft, war ihm eigentlich unheimlich.
    »Nun ja«, sagte er, »gewiß muß diese moralische Doktrin gestaltet und umgesetzt werden. Aber die Wunder

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