Die drei Musketiere
wir hin!
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Wo wohnt Ihr Freund?« – »Ganz in der Nähe: Rue Pérou.«
Athos war, wie d'Artagnan vermutet hatte, nicht zu Hause. Er führte Frau Bonacieux die Treppe hinauf in die Wohnung, klinkte hinter sich zu und sagte, sie solle es sich bequem machen, niemandem öffnen, außer wenn dreimal hintereinander geklopft würde. »Schön«, erwiderte die Frau; »doch muß ich nun auch Ihnen Instruktionen geben.« – »Bitte!« – »Im Louvre fragen Sie nach Germain, sagen ihm die Parole, Tours und Brüssel, worauf er Sie hereinlassen wird, lassen Herrn de la Porte rufen und bitten ihn, sich zu mir zu bemühen.« – »Schön!
Und wann sehe ich Sie wieder?« – »Ist Ihnen daran gelegen?« –
»Freilich!« sagte d'Artagnan. – »Haben Sie Geduld«, sagte Frau Bonacieux. – »Ich baue auf Sie.« – »Sie sollen sich nicht täuschen.«
Mit dem verliebtesten Blick, dessen sein Auge fähig war, sagte er der Frau Lebewohl, eilte die Treppe hinunter, hörte noch die Tür doppelt hinter sich schließen und war mit zwei Sprüngen im Louvre. Als er durch die Pforte schritt, schlug es zehn. Alles, was wir hier erzählt haben, hatte sich in einer knappen halben Stunde abgespielt. Germain, der Portier, verbeugte sich tief, als er die Parole hörte; zehn Minuten später war de la Porte in der Loge; mit zwei Worten hatte d'Artagnan ihn unterrichtet und ihm gesagt, wo er Frau Bonacieux finden würde. De la Porte ließ sich Straße und Nummer zweimal sagen und rannte weg; nach kaum zehn Schritten aber kam er wieder.
»Junger Mann«, sagte er, »einen Rat!« – »Bitte!« – »Sie könnten wegen des Vorgefallenen Schererei haben. Haben Sie einen Bekannten oder Freund, dessen Wanduhr nachgeht?« –
»Was soll ich damit?« – »Hm, laufen Sie hin, damit Sie einen Zeugen haben, daß Sie vor halb zehn Uhr bei ihm gewesen seien. Im Rechtswesen nennt man das ein Alibi.«
D'Artagnan hielt den Rat für gut, nahm die Beine unter den Arm und ließ sich, bei Herrn von Tréville, nicht in den Salon, sondern in das Privatkabinett führen. Da er dort regelmäßiger
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Gast, zudem als Landsmann bekannt war, machte das weiter keine Schwierigkeit, und Herr von Tréville wurde gerufen. Er erschien auch bald und erkundigte sich lebhaft, womit er seinem jungen Freund dienen könnte: sein Besuch zu so vorgerückter Stunde müsse doch eine ganz bestimmte Ursache haben. –
»Entschuldigen Sie, gnädigster Herr«, sagte d'Artagnan, der den Augenblick, wo er allein war, benutzt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzustellen, »ich habe gemeint, da es erst fünf Minuten vor halb zehn ist, noch bei Ihnen vorsprechen zu dürfen.« – »Erst fünf Minuten vor halb zehn?« rief Herr von Tréville, einen Blick auf die Wanduhr werfend, »aber das kann doch gar nicht sein!« – »Sehen Sie, bitte, auf die Uhr, Herr«, erwiderte d'Artagnan, »es stimmt doch!« – »Allerdings«, sagte Tréville, »aber ich hätte gedacht, es müsse später sein. Doch nun sagen Sie mir, was Sie von mir wollen!«
D'Artagnan erzählte nun Herrn von Tréville eine lange
Geschichte über die Königin, setzte ihm die Befürchtungen auseinander, die ihn um Ihre Majestät erfüllten, erzählte ihm, was er von Plänen des Kardinals hinsichtlich Buckinghams gehört habe, und alles mit einer Ruhe und Wichtigkeit, von der sich Herr von Tréville um so leichter täuschen ließ, als er, wie uns ja bekannt, wahrgenommen hatte, daß sich zwischen König, Königin und Kardinal etwas Neues abspielte.
Als es zehn Uhr schlug, verließ d'Artagnan Herrn von
Tréville, der ihm für die interessante Auskunft dankte, den Dienst bei den Majestäten ans Herz legte und sich in seinen Salon zurückbegab. Unten an der Treppe besann sich
d'Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte, rannte noch einmal hinauf und rückte mit einem Fingerdruck den Zeiger der Wanduhr wieder vor, damit nicht am andern Tage bemerkt würde, daß sie nachgehe. Da er nun eines Zeugen für sein Alibi sicher war, begab er sich vergnügt, aber den weitesten Umweg machend, nach Hause.
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Die Intrige verwickelt sich
Woran dachte d'Artagnan unterwegs, als er, bald seufzend, bald lächelnd, den Blick zum gestirnten Himmel richtete? An den armen Krämer, der in der Bastille schmachtete? O nein, an ihn nicht, aber an dessen junge, hübsche Frau! Für einen Musketieranwärter war sie auch wirklich ein Leckerbissen, um nicht zu sagen das Ideal aller Weiblichkeit. Sie war niedlich, hatte einen
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