Die drei Musketiere
nach den unglücklichen Menschen, die ihm nicht rechtzeitig ausweichen konnten, auch nur umzusehen, flog er durch die Straßen, und d'Artagnan, dem es vorkam, als wenn sich in das Schmerzensgeschrei Verletzter wilde Verwünschungen anderer, die empört über solche Rücksichtslosigkeit waren, gemischt hätten, folgte ihm, nach Kräften bemüht, ihm nicht allzuweiten Vorsprung zu lassen.
Im Hof seines Palastes warf der Herzog seinem Roß die Zü gel über den Hals, schwang sich aus dem Sattel und stürmte die
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Treppe hinauf, durch mehrere Salons, von denen einer
vornehmer ausgestattet war als der andere, bis er in einem Schlafgemach stand, das ein richtiges Wunderwerk von
Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven befand sich eine Tapetentür, die der Herzog mit einem goldenen Schlüsselchen öffnete. Auf der Schwelle eines kleinen, zur Kapelle
hergerichteten Raumes, der von einer großen Anzahl Kerzen erleuchtet wurde, drehte Buckingham sich um, denn d'Artagnan hatte gemeint, aus Diskretion zurückbleiben zu sollen... »Sofern Ihnen die Ehre zuteil wird, vor Ihrer Majestät zu erscheinen, so melden Sie ihr, was Ihre Augen hier gesehen haben.«
Durch diese Worte ermutigt, folgte d'Artagnan dem Herzog, der die Tür hinter ihnen schloß. Über einem Altar, unter einem Prachthimmel von blauem Samt, der von weißen und roten Federn gekrönt war, hing ein Damenporträt in natürlicher Größe, das niemand anders in täuschender Ähnlichkeit darstellte als Anna von Österreich, die Königin von Frankreich. Darunter stand das Kästchen aus Rosenholz, das die zwölf
Diamantknöpfe barg, die die Königin dem Herzog bei seinem letzten Besuch zum Andenken übergeben hatte. Vor dem Altar kniete der Herzog nieder und öffnete das Kästchen... »Da, sehen Sie«, sagte er und nahm eine große, von Diamanten glitzernde Bandschleife heraus, »hier sind die kostbaren Knöpfe, die ich mit ins Grab zu nehmen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt mir sie wieder, der Name der Königin sei gelobt!« Darauf küßte er die Knöpfe der Reihe nach, fuhr aber plötzlich mit jähem Schrei in die Höhe.
»Was ist Ihnen, Mylord?« fragte d'Artagnan unruhig. – »Oh, alles ist verloren!« rief Buckingham, totenbleich den Bearner anstarrend. »Es fehlen zwei davon! Es sind nur noch zehn!« –
»Hat Mylord sie verloren, oder sind sie gestohlen worden?« rief d'Artagnan. – »Gestohlen sind sie!« versetzte der Herzog, »im Auftrag des Kardinals! Da sehen Sie, die Ösen, an denen sie gehangen haben, sind durchgeschnitten.« – »Wer kann der Dieb
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sein? Vielleicht befinden sich die Knöpfe noch in seinen Händen?« – »Ruhig, ruhig!« rief der Herzog. »Ich habe sie bloß ein einziges Mal getragen, vor acht Tagen auf einem Ball in Windsor. Die Gräfin Winter hat sich in meiner Nähe zu tun gemacht. Sie war eifersüchtig auf mich. Sie hat es getan, aus Rache! Im Auftrag des Kardinals, denn ich habe die Gräfin seitdem nicht mehr gesehen.« – »Also hat der Kardinal Agenten in der ganzen Welt?« fragte d'Artagnan verdutzt. – »Gewiß!«
rief Buckingham zähneknirschend, »er ist ein furchtbarer Gegner... Doch wann soll der Ball stattfinden, von dem die Königin schreibt?« – »Nächsten Montag.«
»In fünf Tagen also? Oh, soviel Zeit werden wir nicht
gebrauchen... Patrice!« rief er und öffnete die kleine Tür wieder... Der Diener erschien fast im selben Augenblick.
»Patrice, hole meinen Juwelier und meinen Sekretär!«... Der Diener verschwand, und der Sekretär, wenngleich an zweiter Stelle gerufen, war der erste, der kam... Buckingham hatte sich inzwischen nach dem Schlafzimmer begeben und saß an dem kleinen Mahagonitisch, mit der Niederschrift von Briefen beschäftigt... Als der Sekretär eintrat, drehte der Herzog sich rasch um... »Jackson«, rief er, »Sie begeben sich stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagen ihm, die hier
niedergeschriebenen Befehle seien auf der Stelle zu vollziehen.«
– »Und wenn der Lordkanzler sich nach den Gründen zu solch außerordentlichen Maßnahmen erkundigt?« fragte der Sekretär, nachdem er einen Blick in die Papiere geworfen hatte. – »Dann antworten Sie ihm: es sei so mein Belieben, und ich hätte niemand Rechenschaft zu geben.« – »Diese Antwort«, fragte der Sekretär lächelnd, »soll der Lordkanzler Seiner Majestät geben, wenn Majestät so neugierig sein sollte, den Grund für die Sperre aller britischen Häfen zu erfahren?«
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