Die drei Musketiere 2
daß sie lebt? Eine schöne Rache!«
Der kalte Schweiß lief d’Artagnan von der Stirn. Dieses Weib war ein Ungeheuer. Er horchte wieder, aber leider war die Toilette beendet.
»Gut«, sagte Mylady,»geh in dein Zimmer und suche morgen eine Antwort auf diesen Brief zu bekommen, den ich dir gegeben habe.« – »Für den Comte de Wardes?« – »Allerdings.«
– »Das ist ein Mann, der mir gerade das Gegenteil von dem armen Monsieur d’Artagnan zu sein scheint.« – »Geht, Mademoiselle, ich liebe die Kommentare nicht.«
D’Artagnan hörte die Tür zumachen, dann vernahm er das Geräusch von zwei Riegeln, die Mylady vorschob, um sich in 33
ihrem Zimmer einzuschließen. Kitty drehte auf ihrer Seite, aber so leise wie möglich, den Schlüssel einmal um. Dann stieß d’Artagnan die Tür des Schrankes auf.
»O mein Gott!« sagte Kitty mit gedämpfter Stimme, »was habt Ihr denn, und wie bleich seht Ihr aus!«
»Das abscheuliche Geschöpf!« murmelte d’Artagnan.
»Still! Still! Kommt heraus, es ist nur eine dünne Wand zwischen meinem Zimmer und dem von Mylady, man hört in dem einen ganz genau, was in dem andern gesprochen wird.«
»Schon gut; aber ich gehe nicht eher heraus, ehe du mir gesagt hast, was aus Madame Bonacieux geworden ist.«
Das arme Mädchen schwur d’Artagnan auf das Kruzifix, daß sie es nicht wisse, da ihre Gebieterin ihre Geheimnisse nie ganz preisgebe. Nur glaubte sie dafür stehen zu können, daß sie nicht tot sei. »Aber nun verlaßt mich«, rief sie.
»Nein«, antwortete der Gascogner; »ich habe in deinem Herzen gelesen, und kann mich von einem liebevollen Herzen nicht so schnell trennen.«
»Wie!« rief Kitty errötend.
Und er zog sie an sich. Widerstand konnte sie nicht leisten, sonst wäre Lärm entstanden. So folgte sie dem Zug ihres Herzens und ihrer Sinne.
D’Artagnan kehrte am andern Tag zu Mylady zurück. Sie war sehr übler Laune. D’Artagnan begriff, daß das Ausbleiben des Briefes ihre gereizte Stimmung veranlaßt hatte. Kitty trat ein, wurde aber äußerst hart von Mylady behandelt. Ein Blick, den sie d’Artagnan zuwarf, wollte sagen: »Ihr seht, wie ich um Euretwillen leide.«
Doch am Ende des Abends besänftigte sich die schöne Löwin: sie hörte lächelnd d’Artagnans zärtliche Worte und reichte ihm sogar die Hand zum Kuß.
Als d’Artagnan sich entfernte, wußte er nicht mehr, was er denken sollte, da er aber ein Gascogner war, der nicht so leicht 34
den Kopf verliert, so ersann er in seinem Innern ein Plänchen.
Er fand Kitty an der Tür und ging wie am vorhergehenden Tag mir ihr hinauf, um Neuigkeiten von ihr zu erfahren. Kitty war viel gescholten worden, man hatte sie der Nachlässigkeit beschuldigt. Mylady konnte das Stillschweigen des Comte de Wardes gar nicht begreifen, und hatte ihr befohlen, am Morgen um neun Uhr in ihrem Schlafzimmer zu erscheinen.
D’Artagnan ließ sich von Kitty das Versprechen geben, am anderen Tage in seine Wohnung zu kommen, um ihm den Inhalt dieser Befehle mitzuteilen. Die Arme versprach alles, was d’Artagnan haben wollte. Sie liebte ihn wahnsinnig.
Um elf Uhr sah er Kitty kommen. Sie hielt ein neues Billett Myladys in der Hand. Diesmal überließ es das arme Kind d’Artagnan ohne Widerstand, sie gehörte mit Leib und Seele dem schönen Soldaten.
D’Artagnan öffnete dieses zweite Billett, das ebenfalls weder mit einer Unterschrift, noch mit einer Adresse versehen war, und las, wie folgt: »Ich schreibe Euch zum drittenmal, um Euch zu sagen, daß ich Euch liebe. Hütet Euch, daß ich Euch nicht zum viertenmal schreibe, um Euch zu sagen, daß ich Euch hasse.«
D’Artagnan wurde wiederholt blaß und rot, während er dieses las.
»Oh! Ihr liebt sie immer noch!« rief Kitty, die nicht einen Moment die Augen von dem Gesicht des jungen Mannes
abgewandt hatte.
»Nein, Kitty, du täuschst dich, ich liebe sie nicht mehr, aber ich will mich für ihre Verachtung rächen.«
Kitty seufzte. D’Artagnan nahm eine Feder und schrieb:
»Madame, bis jetzt habe ich gezweifelt, ob Eure beiden ersten Billetts wirklich an mich gerichtet waren, so sehr wähnte ich mich einer solchen Ehre unwürdig.
Heute aber muß ich an das Übermaß Eurer Güte glauben, weil nicht nur Brief, sondern auch Eure Kammerfrau mir die 35
Versicherung geben, daß ich das Glück habe, von Euch geliebt zu werden.
Ich werde heute abend um elf Uhr meine Verzeihung
erflehen. Einen Tag länger zögern wäre jetzt in meinen Augen eine Beleidigung.
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