Die drei Musketiere 2
verwundet.
»Dieses Billett ist nicht für mich!« rief er. – »Nein, es ist für einen andern, Ihr habt mir nicht Zeit gelassen, Euch dies zu sagen.« – »Für einen andern! Sein Name! Sein Name!« rief d’Artagnan wütend. – »Für den Comte de Wardes.«
Die Erinnerung an die Szene in Saint-Germain trat plötzlich wieder vor den Geist des anmaßenden Gascogners und
bestätigte die Eröffnung Kittys.
»Armer, lieber Monsieur d’Artagnan«, sagte diese in eine m Ton des Mitleids und drückte dem jungen Mann abermals die Hand. – »Du beklagst mich, gute Kleine.« – »O ja, von ganzem Herzen, denn ich weiß, was Liebe heißt.« – »Du weißt, was Liebe heißt?« fragte d’Artagnan und schaute sie zum erstenmal aufmerksamer an. – »Ach ja.« – »Nun wohl! Dann würdest du, statt mich zu beklagen, viel besser daran tun, mir zur Rache an deiner Gebieterin zu verhelfen.« – » Und was für eine Rache wollt Ihr nehmen?« – »Meinen Nebenbuhler aus seiner Stelle verdrängen.« – »Dazu werde ic h Euch nie behilflich sein, Chevalier.« – »Und warum nicht?« – »Aus zwei Gründen.« –
»Aus welchen?« – »Erstens, weil meine Gebieterin Euch nie lieben wird.« – »Weißt du dies?« – »Ihr habt sie in ihrem Innersten verletzt.« – »Wie kann ich sie verletzt haben, da ich doch, seit ich sie kenne, wie ein Sklave zu ihren Füßen liege?
Sprich, ich bitte dich!« – »Ich werde dies nur dem Mann gestehen … der in der Tiefe meines Herzens zu lesen vermag.«
D’Artagnan schaute Kitty zum zweitenmal an. Das junge Mädchen war von einer Frische und Schönheit, wofür manche 31
Herzogin ihre Krone gegeben hätte.
»Kitty, ich werde in der Tiefe deines Herzens lesen, darüber beruhige dich, mein liebes Kind; aber sprich.«
»O nein«, rief Kitty, »Ihr liebt mich nicht, Ihr liebt meine Gebieterin, das habt Ihr mir soeben gesagt.«
»Und das hält dich ab, mir den zweiten Grund zu nennen?«
»Der zweite Grund, Chevalier«, sagte Kitty, durch den Ausdruck der Augen des jungen Mannes ermutigt, »der zweite Grund heißt: In der Liebe denkt jeder an sich.«
Diesmal begriff unser Gascogner blitzschnell, welchen Nutzen man aus dieser Liebe ziehen konnte, die ihm Kitty so naiv gestanden hatte. Es schlug Mitternacht, und man hörte fast zugleich das Glöckchen in Myladys Zimmer ertönen.
»Großer Gott!« rief Kitty, »meine Herrin ruft, geht, geschwind.«
D’Artagnan stand auf, nahm seinen Hut, als ob er gehorchen wollte, öffnete aber rasch statt der Tapetentür die Tür eines großen Schrankes und kauerte sich mitten unter die Kleider und Mäntel Myladys.
»Was macht Ihr denn?« rief Kitty.
D’Artagnan, der den Schlüssel an sich genommen hatte, schloß sich in seinen Schrank ein, ohne zu antworten.
»Nun!« rief Mylady mit scharfer Stimme, »schläfst du, daß du nicht kommst, wenn ich läute?«
D’Artagnan hörte, daß die Verbindungstür heftig geöffnet wurde.
»Hier bin ich, Mylady, hier bin ich!« rief Kitty, ihrer Gebieterin entgegenlaufend.
Beide traten in das Schlafzimmer, und da die Tür offen blieb, konnte d’Artagnan noch einige Zeit hören, wie Mylady ihre Kammerjungfer auszankte. Endlich beruhigte sie sich, und es kam die Rede auf ihn, während Kitty ihre Gebieterin bediente.
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»Ei!« sagte Mylady, »ich habe heute abend unsern Gascogner nicht gesehen.« – »Wie Madame«, sagte Kitty, »er ist nicht gekommen? Sollte er flatterhaft sein, ehe er glücklich gewesen ist?« – »O nein, Monsieur Treville oder Monsieur des Essarts werden ihn abgehalten haben. Ich verstehe mich darauf, Kitty, diesen halte ich fest.« – »Was werden Madame mit ihm machen?« – »Was ich mit ihm machen werde? Sei unbesorgt, Kitty, zwischen diesem Menschen und mir liegt etwas, wovon er nichts weiß. Er hat mich beinahe um meinen Kredit bei Seiner Eminenz gebracht. Oh! Ich werde mich rächen.« – »Ich glaubte, Madame lieben ihn?« – »Ich ihn lieben! Ich verabscheue ihn.
Ein Einfaltspinsel, der Lord Winters Leben in den Händen hat, ihn nicht tötet und mir dadurch einen Verlust von dreimal hunderttausend Livres Rente zufügt.«
D’Artagnan schauerte bis in das Mark seiner Knochen.
»Auch hätte ich mich schon an ihm gerächt, wenn mir nicht der Kardinal, ich weiß nicht warum, befohlen hätte, ihn zu schonen.«
»O ja, aber Madame hat die kleine Frau nicht geschont, die er liebte.«
»Ach! Die Krämerin aus der Rue des Fossoyeurs! Hat er nicht bereits vergessen,
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