Die drei Musketiere 2
auf dem hinteren Ende ausgebreitet, der Offizier bat sie, sich auf dem Mantel niederzulassen, und setzte sich neben sie.
»Fahrt zu«, sagte er zu den Matrosen.
Die acht Ruder fielen geräuschvoll ins Meer, ließen nur einen gleichzeitigen Schlag hören, und das Boot schien auf der Oberfläche des Wassers hinzufliegen. Nach fünf Minuten hatte man das Land erreicht. Der Offizier sprang auf den Kai und bot Mylady die Hand. Ein Wagen wartete.
»Ist dieser Wagen für uns?« – »Ja, Madame.« – »Das Gasthaus ist also sehr weit?« – »Am anderen Ende der Stadt.«
»Vorwärts!« rief Mylady und stieg entschlossen in den Wagen. Der Offizier nahm neben Mylady Platz und schloß den Kutschenschlag, und ohne daß ihm ein bestimmtes Ziel angegeben wurde, setzte der Kutscher seine Pferde in Galopp.
Ein so sonderbarer Empfang mußte Mylady reichlichen Stoff zum Nachdenken bieten. Als sie sah, daß der junge Offizier durchaus nicht geneigt schien, ein Gespräch anzuknüpfen, lehnte sie sich in eine Ecke des Wagens und erging sich in allen möglichen Vermutungen. Da die Fahrt jedoch kein Ende nahm, neigte sie sich nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Kutschenschlag, um zu sehen, wohin man sie führe. Sie erblickte keine Häuser mehr, Bäume erschienen in der 156
Finsternis, wie große schwarze, einander nachlaufende Gespeister.
Mylady erbebte und sagte: »Aber wir sind nicht mehr in der Stadt, Monsieur.«
Der Offizier beobachtete dasselbe Stillschweigen.
»Ich will nicht weiter, wenn Ihr mir nicht sagt, wohin Ihr mich führt, das erkläre ich Euch!«
Auch diese Drohung fand keine Antwort.
»Ah! Das ist zu stark!« rief Mylady. »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«
Keine Stimme antwortete der ihrigen. Der Wagen rollte mit derselben Geschwindigkeit fort. Der Offizier war wie eine Bildsäule. Mylady schaute ihn mit dem ihr eigentümlichen, furchtbaren Ausdruck an, der nur selten seine Wirkung verfehlte. Der Zorn ließ ihre Augen in der Finsternis funkeln.
Der junge Mann blieb unbeweglich. Da wollte sie den Kutschenschlag öffnen und hinausspringen.
»Nehmt Euch in acht, Madame«, sagte der junge Mann kalt.
»Ihr tötet Euch, wenn Ihr springt.«
Mylady lehnte sich wutschäumend wieder zurück. Nachdem man ungefähr eine Stunde gefahren war, hielt der Wagen vor einem eisernen Gitter, das einen Hohlweg verschloß, der zu einem massiven Schloß von düsterem Aussehen führte. Als die Räder jetzt auf feinem Sand hinliefen, hörte Mylady ein dumpfes Geräusch, das sie als das Brausen der See erkannte, die sich am felsigen Gestade brach. Der Wagen lief unter zwei Gewölben hin und hielt endlich in einem dunklen, viereckigen Hof. Fast in demselben Augenblick öffnete sich der
Kutschenschlag, der junge Mann sprang leicht heraus und bot Mylady seine Hand. Sie stützte sich darauf und stieg, jetzt anscheinend beruhigt, aus.
»Es wird mir immer klarer«, sagte sie, indem sie um sich schaute und ihre Augen dann mit dem anmutigsten Lächeln der Welt auf den jungen Offizier richtete, »es wird mir immer 157
klarer, daß ich eine Gefangene bin. Aber ich werde es nicht lange bleiben, das weiß ich gewiß«, fügte sie hinzu. »Mein Gewissen und Eure Ritterlichkeit, Monsieur, bürgen mir dafür.«
So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so
antwortete doch der Offizier nicht darauf, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor und pfiff dreimal auf drei verschiedene Weisen. Sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und schoben den Wagen fort. Der Offizier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesicht, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Tür, die durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte. Dann blieb man vor einer zweiten starken Tür stehen, die sich, nachdem sie der junge Mann mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig in ihren Angeln drehte.
Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das für sie bestimmte Zimmer in seinen kleinsten Einzelheiten überschaut.
Es war eine Stube, die für ein Gefängnis reinlich und anständig ausgestattet war, für die Wohnung eines freien Menschen aber etwas Strenges hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Tür ließen nicht mehr daran zweifeln, daß es ein Gefängnis war. Einen Augenblick verließ Mylady, trotz all ihrer
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