Die drei Musketiere 2
daß der Soldat, der Schildwache stand, ohne Zweifel ein eifriger Katholik, den Zauber abschüttelte, denn er rief durch die Tür:
»Schweigt doch, Madame! Euer Gesang ist traurig wie ein De profundis, und wenn man zu dem Vergnügen, hier Wache zu halten, auch noch solche Sachen anhören muß, dann ist es gar nicht mehr auszuhalten.«
»Ruhe!« sprach hierauf eine ernste Stimme, in der Mylady 187
diejenige Feitons erkannte, »in was mischt Ihr Euch, Bursche?
Hat man Euch befohlen, diese Frau am Singen zu hindern?
Nein. Man hat Euch gesagt, sie zu bewachen, auf sie zu schießen, wenn sie einen Fluchtversuch machen sollte. Bewacht sie, und wenn sie flieht, so tötet sie, aber ändert nichts an dem Befehl!«
Ein Ausdruck unsäglicher Freude erhellte Myladys Gesicht, aber dieser Ausdruck war flüchtig wie ein Blitzstrahl, und ohne sich den Anschein zu geben, als ob sie das Zwiegespräch gehört hätte, von dem ihr nicht ein Wort entgangen war, nahm sie ihren Gesang wieder auf und verlieh ihrer Stimme all den Reiz, all die Kraft und all den verführerischen Wohllaut, mit dem der Böse sie ausgestattet hatte.
Feiton glaubte den Engel singen zu hören, der die drei Hebräer in dem feurigen Ofen tröstet.
Er öffnete ungestüm die Tür, und Mylady sah ihn bleich wie immer, aber mit glühenden, fast erschrockenen Blicken erscheinen.
»Warum singt Ihr so«, fragte er, »und mit einer solchen Stimme?«
»Vergebung, mein Herr«, antwortete Mylady sanft, »ich vergaß, daß meine Gesänge in diesem Haus nicht am Platz sind.
Ich habe Euch wohl in Eurem Glauben verletzt, es geschah jedoch nicht mit Absicht, ich schwöre es Euch. Verzeiht mir also ein Vergehen, das ganz unabsichtlich begangen wurde.«
Mylady war in diesem Augenblick so schön, die religiöse Verzückung, in die sie versetzt schien, gab ihrem Gesicht einen so eigenartigen Ausdruck, daß Feiton, ganz geblendet, nunmehr den Engel zu sehen glaubte, den er kurz vorher nur zu hören wähnte.
»Ja, ja«, erwiderte er, »Ihr stört und regt die Leute auf, die dieses Schloß bewohnen.« Der arme Tor merkte selbst nicht, wie zusammenhanglos seine Worte waren, während Mylady mit 188
ihrem Luchsauge ihm bis auf den tiefsten Grund seines Herzens drang.
»Ich werde schweigen«, sagte Mylady, die Augen
niederschlagend, mit ihrer sanftesten Stimme und mit all der Ergebung, die sie ihrer Haltung zu verleihen vermochte.
»Nein, nein, Madame«, versetzte Feiton, »nur singt weniger laut, besonders bei Nacht.« Mit diesen Worten stürzte Feiton, der fühlte, daß er seine Strenge gegen die Gefangene nicht mehr lange aufrechterhalten konnte, aus dem Gemach.
Am Morgen kam Feiton wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn jedoch die Vorkehrungen zu ihrem Frühstück leiten, ohne das Wort an ihn zu richten. Im Augenblick, da er sich zum Gehe n anschickte, hatte sie einen Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen, aber seine Lippen bewegten sich, ohne daß ein Wort aus seinem Mund drang, er mußte sich Gewalt antun, um die Worte, die ihm zu entschlüpfen drohten, in seinem Herzen zu verschließen, und entfernte sich.
Gegen Mittag trat Lord Winter ein.
Es war ein ziemlich schöner Wintertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, die erhellt, aber nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses. Mylady sah zum Fenster hinaus und tat, als habe sie nicht gehört, daß die Tür sich öffnete.
»Aha«, sagte Lord Winter, »nachdem wir zuerst Komödie und dann Tragödie gespielt haben, versuchen wir es jetzt mit der Melancholie.« Die Gefangene antwortete nicht. »Ja, ja«, fuhr Lord Winter fort, »ich verstehe, Ihr möchtet Euch gerne in Freiheit an diesem Meeresstrand ergehen, Ihr möchtet auf einem guten Schiff die Wogen dieses smaragdgrünen Meeres
durchschneiden, Ihr möchtet mir, sei es zu Land, sei es auf dem Ozean, einen jener hübschen Hinterhalte legen, die Ihr so vortrefflich zu ersinnen versteht. Geduld! Geduld! In einigen Tagen sollt Ihr an das Gestade gehen, soll Euch das Meer offen sein, vielleicht mehr, als Euch lieb sein wird, denn in einigen 189
Tagen wird England Euer ledig sein.«
Mylady faltete die Hände, erhob ihre schönen Augen zum Himmel und sprach mit engelgleicher Anmut in Gebärde und Ton: »Herr! Herr! Vergib diesem Mann, wie ich ihm selbst vergebe.«
»Ja, bete nur, Verruchte«, rief Lord Winter, »dein Gebet ist umso edelmütiger, als du dich, ich schwöre es dir, in der Gewalt eines Mannes befindest, der kein Vergeben
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