Die drei Musketiere 2
einzigen Zweck nach England kamt, mich zu sehen, ein Vergnügen, das Ihr, wie Ihr mir sagtet, so schmerzlich entbehrt habt, daß Ihr seinetwegen Euch allem ausgesetzt habt, der Seekrankheit, dem Sturm, der Gefangennahme? Nun, da bin ich, ich denke, Ihr solltet zufrieden sein. Übrigens hat diesmal mein Besuch einen besonderen Grund.«
Mylady erbebte. Sie glaubte, Feiton habe gesprochen.
Vielleicht noch nie in ihrem Leben hatte diese Frau, die schon so viele gewaltige und widersprechende Gemütsbewegungen empfunden hatte, ihr Herz so heftig schlagen gefühlt.
Lord Winter nahm einen Stuhl, schob ihn an ihre Seite und setzte sich neben sie. Dann zog er ein Papier aus seiner Tasche und entfaltete es langsam.
»Seht«, sagte er zu ihr, »ich wollte Euch den Paß zeigen, den ich selbst aufgesetzt habe und der Euch künftig zur Richtschnur dienen soll in dem Leben, das ich Euch lassen will.«
Dann wandte er seinen Blick von Mylady ab auf das Papier und las:
»Befehl, die Charlotte Backson, die in Frankreich gerichtlich gebrandmarkt, nach Verbüßung der Strafe aber in Freiheit gesetzt worden ist, nach … zu bringen. Der Name des Ortes ist noch offengelassen«, unterbrach sich Lord Winter, »wenn Ihr in dieser Beziehung einen besonderen Wunsch habt, so nennt ihn mir, und sofern der Platz nicht unter tausend Meilen von London entfernt ist, soll Eurem Wunsch entsprochen werden. Ich fahre also fort: Sie hat an diesem Ort zu bleiben und darf sich nie mehr als drei Meilen davon entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches ist die Todesstrafe an ihr zu vollziehen. Für Wohnung und Nahrung sind ihr fünf Shilling pro Tag
ausgesetzt.«
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»Dieser Befehl trifft mich nicht«, antwortete Mylady kalt,
»denn er ist nicht auf meinem, sondern auf einen andern Namen ausgestellt.«
»Einen Namen! Habt Ihr etwa einen?« – »Ich führe den Eures Bruders.« – »Ihr seid im Irrtum. Mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Nennt mir seinen Namen, und ich setze ihn an die Stelle von Charlotte Backson. Nein? …
Ihr wollt nicht? … Ihr schweigt? Gut, dann werdet Ihr eben unter dem Namen Charlotte Backson eingeschrieben.«
Mylady blieb stumm, doch war es diesmal nicht Verstellung, sondern Schrecken, was sie sprachlos machte. Sie glaubte, der Befehl werde gleich zur Vollstreckung gelangen. Einen Augenblick lang gab sie im Geist schon alles verlo ren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht unterschrieben war.
Ihre Freude über diese Entdeckung war so groß, daß sie sie nicht verbergen konnte.
»Ja, ja«, sagte Lord Winter, der bemerkte, was in ihr vorging,
»Ihr sucht die Unterschrift und sagt Euch, solange das Papier nicht unterzeichnet ist, ist noch nicht alles verloren, man zeigt es mir nur, um mich zu erschrecken, weiter nichts. Ihr täuscht Euch, morgen wird Lord Buckingham den Befehl erhalten, übermorgen wird er von ihm unterschrieben und mit seinem Siegel versehen zurückkommen, und vierundzwanzig Stunden später, dafür bürge ich, wird mit seiner Vollstreckung begonnen werden. Adieu, Madame, das ist alles, was ich Euch zu sagen hatte.«
»Und ich erwidere Euch darauf, Mylord, daß dieser
Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem falschen Namen eine Niederträchtigkeit ist.«
»Möchtet Ihr lieber unter Eurem wahren Namen gehängt werden, Mylady? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind in bezug auf den Mißbrauch der Ehe unerbittlich. Erklärt Euch offen!
Obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in die 196
Geschichte verwickelt ist, scheue ich den Skandal eines öffentlichen Prozesses nicht, denn ich bin überzeugt, auch auf diese Weise Euer sofort entledigt zu werden.«
Mylady gab keine Antwort.
»Ah, ich sehe, Ihr wollt lieber auswandern. Vortrefflich, Madame. Meiner Treu, Ihr habt im großen und ganzen nicht unrecht, das Leben ist so schön. Eben deshalb war es mir auch gar nicht einerlei, daß Ihr mich habt umbringen wollen. Und nun, Madame, auf Wiedersehen. Morgen werde ich Euch die Abreise meines Boten anzeigen.«
Lord Winter erhob sich, grüßte Mylady ironisch und ging.
Mylady atmete auf. Sie hatte noch vier Tage vor sich, und diese vier Tage genügten ihr, um Feiton vollends zu verführen.
Indessen stieg ein schrecklicher Gedanke in ihr auf: Wie, wenn Lord Winter Feiton selbst absenden würde, um den Befehl von Buckingham unterschreiben zu lassen? Auf diese Weise würde Feiton ihr entgehen, da das Gelingen ihres Planes vom Zauber ihres
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