Die drei Musketiere 2
Gebieter ist krank.«
Die drei Freunde liefen herbei und fanden d’Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, nach seinem Pferd eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.
»Wo, zum Teufel, willst du denn hin?« rief ihm Athos zu.
»Er ist es!« erwiderte d’Artagnan, bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirn, »er ist es, laßt mich ihn einholen.«
»Wer denn?«
»Er! Dieser Mensch!«
»Welcher Mensch?«
»Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, er, der die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum erstenmal erblickte; er, den ich suchte, als ich unsern Freund Athos herausforderte; er, den ich an demselben Morgen sah, da man Madame Bonacieux entführte; ich habe ihn gesehen, er ist es! Der Mann von Meung, ich habe ihn wiedererkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«
»Zum Teufel!« sagte Athos nachdenklich.
»Auf die Pferde! Meine Herren, auf die Pferde! Wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicher einholen.«
»Mein Lieber«, sagte Aramis, »bedenkt, daß er in die entgegengesetzte Richtung reitet, daß er ein frisches Pferd hat und daß unsere Pferde ermüdet sind, daß wir also unsere Pferde ganz umsonst zu Tode reiten. Lassen wir also den Mann, d’Artagnan, und retten wir die Frau!«
»He, Monsieur!« rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief. »He, Monsieur, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hut fiel. He, Monsieur, he!«
»Mein Freund«, sagte d’Artagnan, »eine halbe Pistole für dieses Papier.«
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»Gern, Monsieur, mit dem größten Vergnügen.«
D’Artagnan entfaltete das Papier.
»Nun?« fragten seine Freunde gespannt.
»Ein einziges Wort!« antwortete d’Artagnan.
»Ja«, sagte Aramis, »aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«
»Armentieres«, las Porthos. »Armentieres, das kenne ich nicht.«
»Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«
»Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren«, sagte
d’Artagnan. »Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren.
Rasch auf die Pferde, meine Freunde!« Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune davon.
*
Mylady, für die offenbar der von der Vorsehung bestimmte Tag der Abrechnung noch nicht gekommen war, fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgendeinen Unfall nach Boulogne. Als sie in Portsmouth landete, war sie eine durch die Verfolgung der Franzosen aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt in Boulogne landend, gab sie sich für eine Französin aus, die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhaß mißhandelt hatten.
Mylady trug übrigens den wirksamsten aller Pässe bei sich, ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den üblichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten
Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küßte, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten gefaßten Brief auf die Post gegeben hatte:
»An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.
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Monseigneur, Eure Eminenz kann unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit der Herzog von Buckingham wird nicht nach Frankreich aufbrechen.
Boulogne, den 25. abends.
Mylady.«
»NS: Nach dem Wunsche Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegensehe.«
Mylady machte sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg. Als die Nacht kam, mußte sie anhalten lassen und schlief in einem Gasthof. Am anderen Morgen um fünf Uhr reis te sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht. Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich dahin.
Im Kloster gibt es wenig Zerstreuung, und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer ne uen Klostergängerin anzuknüpfen. Mylady wollte der Äbtissin gefallen, was einer Frau von so hervorragenden Eigenschaften nicht schwer fiel. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein. Sie war bezaubernd und gewann die Superiorin durch ihr fesselnde Unterhaltung und ihre Anmut.
Die Äbtissin, eine Tochter aus adeligem Haus, war vor allem auf Hofgeschichten versessen, die so selten bis hinter die Klostermauern gelangten. Mylady aber war mit allen
aristokratischen Intrigen, inmitten derer sie fünf bis sechs Jahre gestanden hatte, wohl vertraut. Sie erzählte also der guten
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