Die drei Musketiere 2
Äbtissin von allen interessanten Begebenheiten am
französischen Hof. Sie machte sie mit der ganzen
Skandalchronik der vornehmen Herren und Damen des Hofes, die die Äbtissin dem Namen nach kannte, vertraut, berührte auch die Liebschaft der Königin mit Buckingham und redete viel, um ein wenig zu hören.
Aber die Äbtissin begnügte sich zu hören und zu lächeln und 239
antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, daß die Erzählungen sie ergötzten, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal und sprach von den Verfolgungen, die sich der Kardinal gegen seine Feinde zuschulden kommen ließ. Die Äbtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu mißbilligen. Dies bestärkte Mylady in ihrer Meinung, daß die Äbtissin mehr Royalistin als Anhängerin des Kardinals sei. Mylady trug immer dicker auf.
»In all diesen Verhältnissen weiß ich nicht Bescheid«, sagte die Äbtissin endlich, »aber wie fern wir auch vom Hof leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen stehen, so haben wir doch auch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen Seiner Eminenz gelitten.«
»Eine Eurer Kostgängerinnen?« fragte Mylady. »O mein Gott! Die arme Frau! Wie sehr beklage ich sie!«
»Und Ihr habt recht, denn sie ist sehr zu beklagen.
Gefangenschaft, Drohungen, schlechte Behandlung, alles hat sie erduldet. Indes«, fuhr die Äbtissin fort, »Seine Eminenz hatte vielleicht triftige Gründe, so zu handeln. Sie sieht zwar wie ein Engel aus, man darf die Leute aber nicht immer nach dem Äußern beurteilen.«
»Gut«, dachte Mylady, »wer weiß? Vielleicht erfahre ich hier noch etwas.«
Sie bemühte sich, ihrem Gesicht den Ausdruck vollkommener Aufrichtigkeit zu geben.
»Leider weiß ich es«, entgegnete Mylady. »Man sagt
allerdings, den Gesichtszügen dürfe man nicht trauen, aber wem soll man dann noch Vertrauen schenken, wenn nicht dem schönsten Werk Gottes? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden, aber ich werde einer Person Vertrauen schenken, deren Gesicht mir Sympathie einflößt.«
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»Ihr fühlt Euch also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?«
»Seine Eminenz verfolgt nicht bloß Verbrecher«, versetzte sie, »gewisse Tugenden verfolgt er noch strenger als manche Freveltaten.« – »Da muß ich Euch doch mein Erstaunen ausdrücken«, erwiderte die Äbtissin. – »Und worüber?« fragte Mylady mit großer Naivität. – »Nun, über die Sprache, die Ihr führt.« – »Was findet Ihr denn so erstaunlich an dieser Sprache?« fragte Mylady lächelnd.
»Da Seine Eminenz Euch hierher schickt, so seid Ihr doch ohne Zweifel eine Freundin desselben, und gleichwohl …«
»Und gleichwohl rede ich schlecht von ihm«, fuhr Mylady fort, den Gedanken der Äbtissin vollendend. – »Wenigstens redet Ihr nichts Gutes von ihm.« – »Weil ich eben nicht seine Freundin bin«, versetzte sie seufzend, »sondern sein Opfer.«
»Aber jener Brief, worin er Euch mir anempfiehlt …?« – »Ist weiter nichts als ein mir erteilter Befehl, mich in einer Art Gefängnis so lange aufzuhalten, bis er mich von einem seiner Henkersknechte herausholen läßt.«
»Aber warum seid Ihr nicht geflohen?« – »Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, daß es einen Ort auf der Erde gibt, wo der Kardinal mich nicht erreichen könnte, wenn er sich die Mühe geben wollte, die Hand nach mir auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so ginge es noch, aber was soll ich als Frau tun? Hat denn die junge Dame, die hier ist, zu fliehen versucht?«
»Allerdings nicht, aber bei ihr ist das etwas anderes. Ich glaube, sie wird durch eine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.« – »Wenn sie liebt«, erwiderte Mylady seufzend, »dann ist sie wenigstens nicht ganz unglücklich.»
»So sehe ich also noch eine arme Verfolgte vor mir?« sagte die Äbtissin, Mylady mit zunehmendem Interesse betrachtend.
»Ach, leider ja!« entgegnete Mylady.
Die Äbtissin schaute Mylady einen Augenblick prüfend an, 241
als ob ein neuer Gedanke in ihr aufsteige. »Ihr seid doch keine Feindin unseres heiligen Glaubens?« fragte sie stammelnd. –
»Ich«, rief Mylady, »ich eine Protestantin! O nein, Gott, der uns hört, rufe ich zum Zeugen dafür an, daß ich im Gegenteil, eine eifrige Katholikin bin.« – »Dann beruhigt Euch, Madame«, erwiderte
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