Die drei Musketiere 2
lächelnd die Äbtissin, »das Haus, in dem Ihr euch befindet, wird kein sehr strenges Gefängnis sein, und wir werden alles aufbieten, damit Ihr die Gefangenschaft lieb gewinnt. Noch mehr, Ihr sollt an der wegen irgendeiner Hofintrige verfolgten jungen Frau Gesellschaft finden. Sie ist liebenswürdig und anmutig.« – »Wie heißt sie?« – »Sie wurde mir von hoher Stelle unter dem Namen Kitty empfohlen. Nach ihrem andern Namen habe ich mich nicht erkundigt.« – »Kitty!«
rief Mylady, »wie, seid Ihr dessen sicher?« – »Daß sie so heißt?
Ja, Madame. Kennt Ihr sie etwa?«
Mylady lächelte in sich hinein bei dem Gedanken, der in ihr aufgestiegen war, die junge Frau könne ihre ehemalige Zofe sein. Wenn sie sich an dieses Mädchen erinnerte, ward sie von Zorn erfüllt, und das Verlangen nach Rache verzerrte Myladys Züge, doch nahmen sie sofort wieder den ruhigen und wohlwollenden Ausdruck an, den dieses Weib mit den hundert Gesichtern nur auf einen Augenblick aufgegeben hatte. »Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für die ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?«
»Heute abend, noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute morgen um fünf Uhr aufgestanden und müßt Ruhe nötig haben. Legt Euch nieder und schlaft! Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch wecken.«
Obgleich Mylady den Schlaf hätte entbehren können, da all die Aufregungen, in die der Gedanke an ein neues Abenteuer ihr so ränkesüchtiges Herz versetzte, sie aufrechthielt, so nahm sie das Anerbieten der Äbtissin dennoch an. Die letzten zwölf oder vierzehn Tage hatte sie so viele Aufregungen durchgemacht, daß, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengung noch hätte 242
aushaken können, ihr Geist doch der Ruhe bedurfte.
Sie verabschiedete sich daher von der Äbtissin und legte sich schlafen, sanft eingewiegt von den Rachegedanken, die der Name Kitty in ihr wachgerufen hatte. Sie gedachte jenes fast unbeschränkten Versprechens, das ihr der Kardinal gegeben hatte, falls ihr Unternehmen von Erfolg gekrönt sei. Es war ihr geglückt, d’Artagnan war ihr also verfallen!
Von diesen süßen Gedanken eingewiegt, schlief sie denn auch bald ein.
Sie wurde von einer lieblichen Stimme geweckt, die vom Fußende des Bettes her ertönte. Als sie die Augen öffnete, stand die Äbtissin in Begleitung einer jungen Frau mit blondem Haar und zarter Gesichtsfarbe vor ihr, die einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie richtete.
Das Gesicht dieser jungen Frau war ihr vollständig unbekannt.
Beide prüften sich mit gespannter Aufmerksamkeit, während sie die üblichen Begrüßungen austauschten. Mylady lächelte, als sie erkannte, daß sie an vornehmem Wesen und aristokratischem Benehmen die junge Frau weit übertraf.
Die Äbtissin stellte die Damen einander vor. Nach
Beendigung dieser Förmlichkeit ließ sie die beiden jungen Frauen allein.
Die Novizin wollte, da sie Mylady noch im Bett sah, der Äbtissin folgen, aber Mylady hielt sie zurück.
»Wie, Madame«, sprach sie zu ihr, »kaum habe ich mit Euch gesprochen, schon wollt Ihr mich wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, offen gestanden, für die Zeit meines Aufenthalts für hier ein wenig zählte?«
»Gewiß nicht, Madame«, erwiderte die Novizin, »ich
fürchtete nur, meine Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr schlieft, Ihr seid müde.«
»Was können denn schlafende Menschen Besseres verlangen als ein angenehmes Erwachen?« versetzte Mylady. »Ein solches 243
Erwachen habt Ihr mir bereitet. Laßt es mich auch nach Herzenslust genießen.«
Sie ergriff dabei ihre Hand und zog sie auf einen neben dem Bett stehenden Sessel.
Die Novizin setzte sich.
»Mein Gott«, sagte sie, »wie schade! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung; Ihr kommt, Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gesellschaft sein und wahrscheinlich habe ich nun in nächster Zeit das Kloster zu verlassen.«
»Wie? Ihr geht also bald von hier?«
»Wenigstens hoffe ich es«, erwiderte die Novizin mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im mindesten zu verbergen bemüht war.
»Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten«, fuhr Mylady fort. »Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«
»Also ist das, was mir unsre Mutter gesagt hat, wahr? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«
»Still, selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon
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