Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
mir lieb, ihn zu sehen, aber es hat keine Eile. Ich wünsche auch mit Herrn Fouquet zu sprechen.«
Herr von Saint-Aignan kehrte mit befriedigenden Nachrichten von der Königin zurück, die, abgesehen von einer leichten Unpäßlichkeit, sich durchaus wohl fühlte. Es war Philipp sehr lieb, daß sie nicht kam – aber es war ihm nicht lieb, daß Aramis noch immer nicht erschien. Die Unterredung kam ins Stocken. Mit seinen Gedanken und Besorgnissen beschäftigt, vergaß Philipp, die königliche Familie zu verabschieden, und die Herrschaften wurdenungeduldig. Anna von Oesterreich wandte sich gegen ihren Sohn und flüsterte ihm ein paar Worte auf spanisch zu. – Philipp erschrak und wurde blaß; denn diese Sprache verstand er gar nicht.
In diesem kritischen Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes. Das Zimmer war von Halbdunkel erfüllt, da die dicht zugezogenen Vorhänge das Licht nicht hereinließen. Die Königin-Mutter hielt Philipp bei der Hand und wartete auf eine Antwort. Madame lehnte gähnend in ihrem Stuhl. Monsieur zupfte gelangweilt an seinen Manschetten. Da erschien auf der Türschwelle Herr Fouquet, sah herein, ohne daß man ihn bemerkte, lüftete die Portiere und ließ Ludwig XIV. eintreten.
Philipp, dessen Blick auf die Tür geheftet war, da er auf Aramis wartete, erblickte sein Ebenbild und stieß einen Schrei aus. Alle Anwesenden sahen nach der Tür. Inzwischen war Herr Fouquet blitzschnell zu den Fenstern gelaufen und hatte die Vorhänge zurückgerissen, so daß mit einem Male das volle Tageslicht jäh den Saal durchflutete. Ludwig XIV. war bis in die Mitte vorgeschritten und maß mit brennendem Blicke seinen Zwillingsbruder.
Anna von Oesterreich sah von einem zum andern. Die Aehnlichkeit zwischen diesen beiden Männern war so vollständig, daß man glauben konnte, der eine sei nur ein Spiegelbild, nur ein zauberischer Reflex des andern. Daher las man auch auf allen Gesichtern maßlose Verwunderung und Verwirrung, und in diesem Moment mag wohl keiner der Anwesenden gewußt haben, welcher von den beiden eigentlich der König sei.
Fouquet teilte dieses Erstaunen, sah er doch den Usurpator zum ersten Male. Aramis hatte recht gehabt!Der Minister erkannte auf den ersten Blick, daß der falsche König ebenso reinen Blutes sei, wie Ludwig XIV., und daß er, Fouquet, ein Narr gewesen, den genial angelegten Staatsstreich des Jesuitengenerals zu vereiteln. In diesem Augenblick, wo alle, die an dieser Szene teilnahmen, von verworrenen Gedanken und Vorstellungen ergriffen wurden, sagte sich Fouquet, daß Ludwig XIV., der Undankbare, die edelmütige Tat nicht verdiene, durch die er ihm das Leben rettete und sich selbst, da er gerettet war, aufs neue ins Verderben stürzte. Je vollendeter die Aehnlichkeit sei, um so größer sei ja in den Augen Ludwigs die Schuld und das Verbrechen der Täter und aller, die irgendwie daran beteiligt gewesen.
Ludwig XIV. unterbrach plötzlich das todesbange Schweigen, das auf jenen allgemeinen Schrei der Verblüffung gefolgt war. Er trat vor Anna von Oesterreich hin, die nun die ganze Wahrheit begriff, und rief: »Mutter, erkennen Sie Ihren Sohn nicht, da hier keiner den König zu erkennen scheint?« – Darauf wandte sich auch Philipp, an allen Gliedern bebend, zu der Königin-Witwe und rief, die Arme ausbreitend: »Mutter, erkennen Sie Ihren Sohn nicht?« – So standen beide vor der unglücklichen Frau, die nur einen neuen Schrei ausstoßen konnte und dann ohnmächtig wurde. Ludwig vermochte diese Szene, die er als tödlichen Schimpf empfand, nicht länger zu ertragen. Er stürzte auf d'Artagnan zu, der wie traumverloren an der Wand lehnte und sich das ganz tolle Unternehmen, das Aramis da ausgeführt hatte, klarzumachen versuchte.
»Musketier! Her zu mir!« schrie Ludwig. »Sehen Sie uns beiden ins Gesicht! Wer ist bleicher, er oder ich?« – D'Artagnan fuhr auf. Er bewegte den Kopf,als wenn er etwas Schweres von sich schüttelte. Dann trat er an Philipp heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach: »Monsieur! Sie sind verhaftet.«
Philipp rührte sich nicht vom Fleck. Er sah starr seinen Bruder an und warf ihm in einem erhabenen Schweigen all das Unglück, all das Elend vor, das er schon erduldet hatte, das er in Zukunft noch erdulden sollte. Gegenüber dieser stummen Sprache verließ den König die Kraft. Er zog seinen andern Bruder, den Herzog von Orléans, und Henriette mit sich fort und vergaß seine Mutter, die in ihrem Stuhle lag und ihren
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