Die drei ??? und der Ameisenmensch
Woolley. »Mich hat die Vogelscheuche auf den Kopf geschlagen, vergessen Sie das nicht!«
Sie schauderte. »Vogelscheuchen! Die sind ekelhaft. Voller Schmutz und voller Spinnen!«
»Voller Spinnen?« fragte Justus. »Die meisten Leute nehmen doch wohl an, Vogelscheuchen seien voller Stroh.«
»Na ja, das natürlich auch«, sagte Letitia Radford. »Aber in dem Stroh hausen Spinnen. Das wüßtet ihr, wenn jemals eine Vogelscheuche auf euch gefallen wäre. Mir ist das passiert, als ich klein war. Im Spätherbst ging ich mit meinen Elternzu einem Bauernhof im Tal, um einen Kürbis für eine Laterne zu kaufen. Sie hatten dort eine Vogelscheuche auf dem Zaun, genau wie die hier. Ich wollte wissen, wie sie aus der Nähe aussah, und ich stieg auf den Zaun und die Vogelscheuche . . .
sie . . . sie . . .«
»Fiel tatsächlich auf Sie?« ergänzte Justus.
Sie nickte. »Es war entsetzlich. Das Ding war so schmutzig.
Es mußte schon unzählige Jahre auf dem Zaun gehockt sein.
Beim Fallen brach es auseinander, und drinnen waren lauter Spinnen – ganze Nester. Die Spinnen liefen mir übers Gesicht und krochen mir ins Haar. Puh! Noch heute graut mir, wenn ich daran denke.«
»Hm«, sagte Justus. »Also haben Sie eine besonders ausgeprägte Furcht vor Vogelscheuchen – und vor Spinnen!«
»Ich ekle mich vor allen Insekten«, entgegnete Letitia. Sie sah sich voll Abscheu um, denn plötzlich ging ihr auf, daß sie in Woolleys Versuchsraum war.
»Ich verstehe ja, warum Sie mich nicht gern in Ihrer Nähe haben«, sagte Woolley. »Aber glauben Sie mir, ich würde nichts tun, um Sie zu beunruhigen. Warum in aller Welt sollte ich auch? Wäre mir etwa damit gedient?«
»Wem wäre überhaupt damit gedient?« frage Letitia. »Ich bin doch keinem Menschen im Weg. Ich tue niemandem weh. Ich will nur hier in diesem Haus – meinem Elternhaus – in Ruhe leben. Und das kann ich nicht! Eine Vogelscheuche treibt mich in den Wahnsinn!«
Sie sah aus, als wolle sie gleich wieder in Tränen ausbrechen.
Justus meldete sich rasch zu Wort. »Miss Radford, nun wollen wir einmal vernünftig überlegen. Wer auch immer Sie quält, muß wissen, daß Sie diese ganz besondere Abneigung gegen Vogelscheuchen haben. Wie vielen Leuten ist das eigentlich bekannt?«
Letitia befingerte einen ihrer goldenen Ohrringe und dachte kurz nach. »Das ist kein großes Geheimnis«, meinte sie dann.
»Das könnten alle möglichen Leute wissen. Mrs. Chumleyweiß es natürlich. Sie war an dem Tag dabei, als . . . als das Ding auf mich herabfiel. Sie sah die Spinnen. Aber die Vorstellung, daß Mrs. Chumley die Vogelscheuche sein sollte, ist unsinnig! Sie war immer nett zu mir. Und selbst wenn sie mich ängstigen wollte, könnte sie es gar nicht. Sie kann ihren Rollstuhl seit fünf Jahren nur noch verlassen, wenn sie zu Bett geht. Und dabei muß man ihr helfen.«
»Wie ist das mit Burroughs und seiner Frau?« fragte Justus.
»Wußten sie Bescheid, ehe es mit dieser Landplage anfing?«
»Ich . . . ich glaube schon. Gleich nachdem ich wieder nach Hause kam, war ich mit Mrs. Chumley im Wohnzimmer beim Fernsehen, und da gab es einen klassischen Gruselfilm mit einer Vogelscheuche. Ich mußte ein anderes Programm einschalten. Ich kann es nicht ertragen, einen solchen Film anzuschauen, auch wenn er künstlerisch wertvoll ist. Ich kann mich noch erinnern, daß Burroughs im Zimmer war, als das Bild kam. Ich sagte zu Mrs. Chumley, daß ich Vogelscheuchen noch immer nicht ausstehen könne. Vielleicht hat sie Burroughs später erzählt, was passierte, als ich ein Kind war.« »Mir hat sie es erzählt«, sagte Woolley. »Sie meinte, sie finde es schändlich, daß Sie noch so lange danach von einem Gruselfilm schockiert waren.«
»Auch Malz war an diesem Tag hier«, erinnerte sich Letitia.
»Er kommt recht oft zu Mrs. Chumley zu Besuch, und daher könnte auch er über meine Ängste Bescheid wissen.«
»Und all das hat sich ereignet, ehe Sie die Vogelscheuche hier zum ersten Mal sahen?« fragte Justus.
»Ja. Es war in der ersten Woche nach meiner Heimkehr. Ich wollte mich einfach entspannen und nicht zu viel grübeln. Ich hatte da in Europa etliche Probleme gehabt.«
Sie schwieg, und Justus dachte an die aufgelöste Verlobung.
Er fragte sich, wie alt Letitia Radford sein mochte. Um ihren Mund waren feine Runzeln, und ihre Augen waren müde. Sie war nicht mehr jung, und sie wirkte immerzu unglücklich und leidend.
»Es war ein paar Tage nach dem Fernsehfilm, als ich mich
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