Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
keinen sanften Abschied; denn der Abscheu und das Entsetzen vor diesem schrecklichen Übel ging über alle Begriffe. Lavallière sah sich von allen Seiten gemieden wie ein Pestkranker, der König warf ihm ein kaltes, strenges Wort hin, und der unglückliche Ritter, ganz verzweifelt hierüber, verließ den Festsaal als ein Ausgestoßener.
Marie Maillé folgte ihm. Sie hatte nun den Mann, den sie so sehr liebte, in jedem Sinn zugrunde gerichtet, sie hatte ihm seine Ehre genommen und sein Leben wertlos gemacht. Alle großen Heilkünstler und Physikusse hatten längst das Dogma aufgestellt, demgegenüber es keinen Zweifel gab: daß ein so Italienisierter sein schönstes männliches Vorrecht, die Zeugungskraft, verliere und faul und morsch werde bis in die geschwärzten Knochen hinein.
Kein Mädchen hätte den schönsten Edelmann des Königreichs zum Gemahl genommen, wenn auch nur der leiseste Verdacht auf ihm gelastet, daß er zu denen gehöre, die Meister François Rabelais so zierlich seine Eitergebirgslandschaften genannt hat.
Da auf dem Heimweg vom Fest, das im Palast Herkules stattfand, der Ritter schweigend blieb und trüben Sinns, nahm seine Begleiterin endlich das Wort:
»Mein teurer Herr, ich habe Euch ein großes Unrecht zugefügt.«
»Oh, schöne Dame«, antwortete er, »mein Schaden ist der geringste. Ihr selber habt Euch viel übler eingetunkt; denn wie durftet Ihr von der Gefährlichkeit meiner Liebe unterrichtet sein?«
»So bin ich denn sicher«, rief sie aus, »Euch jetzt und immerdar ganz für mich allein zu haben und im Austausch für soviel Unehre und Schande ganz Eure Freundin, Eure Wirtin, Eure Dame oder besser Eure Magd zu sein. Darum ist es mein Wille, mich Euch ganz hinzugeben, um alle Spuren der Schmach in Euch auszulöschen und Euch zu heilen durch Nachtwachen und tausendfältige Pflege und Sorgfalt. Wenn aber, wie die gelehrten Medizinmänner vermeinen, das Übel allzu hartnäckig ist und es Euch um das Leben gehen sollte wie dem guten König Franz selig, so will ich Euch dabei Gesellschaft leisten und will mir einen Ruhm daraus machen, an der Krankheit meines Geliebten zu sterben. O Gott«, seufzte sie mit Tränen in den Augen, »kein Leiden kann qualvoll genug sein für das Unrecht, das ich Euch zugefügt habe.«
Ihre Worte wurden von Tränen und Schluchzen unterbrochen, ihr tugendhaftes Herz drohte still zu stehen, sie sank ohnmächtig zu seinen Füßen. Lavallière erschrak. Er hob sie auf und legte seine Hand auf ihr Herz, dort unter der weißen Wölbung, die ohnegleichen war. Durch diese Berührung der geliebten Hand kam die Dame wieder zu sich selber; sie fühlte davon ein so heißes Entzücken, daß ihr von neuem die Sinne schwindelten.
»So sei's«, sagte sie, »diese unbedeutende und leichte Liebkosung soll die einzige sein und bleiben, um unsre Liebe auszudrücken. Dieses unschuldige Vergnügen ist so voller Seligkeit für mich, daß ich es himmelhoch schätze über das, was der arme Maillé mir getan ... Lasset Eure Hand da«, sagte sie, »sie liegt wahrhaftig auf meiner Seele und berührt sie.«
Der Ritter blickte verlegen drein bei dieser Rede. Er gestand seiner Dame frei heraus, er finde diese Berührung also beseligend, daß sein schmerzhafter Zustand sich davon ins Ungeheure steigere und daß er einem solchen Martyrium den Tod bei weitem vorziehe.
»So laßt uns zusammen sterben!« rief sie.
Unterdessen waren sie mit ihrer Sänfte im Hof ihres Palastes angelangt, und da sie in Verlegenheit waren, wie sie es mit dem Sterben anfangen sollten, gingen sie zu Bett, jedes für sich und weit auseinander, aber ganz umflammt von Liebe.
So hatte also Lavallière seine Limeuil verloren und Marie ein Glück ohnegleichen gewonnen. Aber durch das böse Gerede der Leute, das beide nicht in Rechnung gezogen hatten, sah sich Lavallière unversehens von, allem Recht auf Liebe und Heirat ausgeschlossen. Er wagte sich nirgend mehr zu zeigen, und er mußte nun einsehen, daß das Pförtlein einer Frau zu behüten keine Kleinigkeit sei. Aber je mehr Ehre und Tugend erforderlich war, um so glücklicher machten ihn die schweren Opfer, die die Treue der Brüderschaft ihm auferlegte. Dennoch wurde ihm in den letzten Tagen seine Wächterpflicht allzu brennend und dornig, ja fast unerträglich.
Und das kam so:
Das Geständnis ihrer Liebe, die sie geteilt glaubte, das Unheil, das sie über den Ritter gebracht, und ein Vorgeschmack ungekannter Seligkeiten verführten die schöne Marie
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