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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ein unheimlich grausig Ding um diese Flucht, und Wir konnten nicht anders glauben, als daß der Dämon, der sie so lange behelligt und gequält hat, ihr dabei behilflich war. Unterdessen wurde von den höchsten Autoritäten unserer Metropolitankirche der schreckliche Fall so erklärt, daß dieses Kind der Hölle die Sendung erhalten habe, unsre Nonnen von ihrem heiligen Wege abspenstig zu machen, und dann, geblendet von unserm Leben in der Reinheit, durch die Luft wieder zurückgekehrt sei zu den unreinen Geistern und Zauberern, die sie, um unsre katholische Religion zu verhöhnen, seinerzeit in der Kathedrale an Stelle der Heiligen Jungfrau zurückgelassen hatten.«

     
    Nachdem die edle Frau Äbtissin so gesprochen, ist sie gemäß der Weisung Unsres gnädigen Herrn, des Erzbischofs, mit großen Ehren zu ihrem Kloster, als welches Notre-Dame vom Mont-Carmel genannt wird, zurückgeleitet worden.

     
    †
    Ist als neunter auf Vorladung vor Uns erschienen ein gewisser Joseph, genannt der Ruderer, Wechsler seines Zeichens und wohnhaft oberhalb der Brücke in dem Flause ›Zum goldenen Pfennig‹, der, nachdem er auf seinen katholischen Glauben geschworen, in Sachen des Prozesses, der vor Unserm geistlichen Gericht zur Verhandlung steht, nichts andres auszusagen als die Wahrheit, soweit er sie wisse, gesprochen hat wie folgt:

     
    ›Ich bin ein armer, von Gott geschlagener Mann. Vor der Erscheinung des Sukkubus in der Brenzelgasse hatte ich als einziges Gut einen Sohn, der schön war wie nur ein Edelmann und gelehrt wie ein studierter Herr, da er weit in der Welt umhergekommen und viel von den fremden Ländern erzählen konnte. Als ein guter katholischer, Christ, der er war, hielt er sich fern von den Lockungen der Liebe und war auch jedem Gedanken an eine Heirat abhold. Er zog es vor, die Stütze meiner alten Tage, die Freude meiner Augen, das Glück meines Herzens zu sein. Er war ein Sohn, auf den der König von Frankreich hätte stolz sein können, ein Sohn mit einem goldenen Herzen, voll Mut und Tugend, die Freude des Hauses, die Seele des Geschäfts, mit einem Wort: ein unschätzbarer Reichtum in Anbetracht dessen, daß ich allein bin auf dieser Welt, da ich zu meinem Unglück meine Gefährtin verloren habe und zu alt bin, mir eine andre zu suchen. Dieser Schatz ohnegleichen ist mir durch einen Teufel verführt worden und muß nun in der Hölle braten. Oh, mein Herr Richter, von dem Augenblick an, wo mein armes Kind auf diese Teufelin gestoßen ist, auf diese Scheide für tausend Klingen, diese Werkstatt der Wollust, diesen Ausbund von Verderbnis, diese mörderische Schlinge, diese giftige Schlange, an der alles Verführung, alles Versuchung ist, stürzte der Unglückliche mit seinem ganzen Hunger nach Liebe hinein in diese Fanggrube, in diesen weiblichen Zwinger und lebte seitdem einzig in diesem Tempel der Venus und lebte nicht lange darin, denn an diesem Ort brennt eine solch höllische Glut, daß die Quellen der ganzen Welt sie nicht löschen würden. Ach, mein armer Sohn, all sein Ehrgeiz, seine Hoffnung auf Nachkommenschaft, all sein Vermögen, sein ewiges Heil, sein ganzes Sein, mehr noch, alles verlor sich in diesem Abgrund wie ein Körnlein Hirse im Rachen eines Stiers.

     
    So bin ich verwaist worden in meinen alten Tagen, und nun hab ich keinen andern Wunsch mehr, als diese Blutsaugerin, die mehr Christenmenschen ausgesaugt hat, mehr Ehen zerstört, mehr Brautfackeln ausgelöscht, als es Aussätzige gibt in allen Hospitälern der Welt, diese Giftspinne, sage ich, die sich nährt von Blut und Gold, lebendig braten und schmoren zu sehen. Martert diese Hexe, rädert sie, röstet sie lebendigen Leibs, diese blutdürstige Tigernatur, diese giftgeschwollene Schlange! Verschüttet ihn, diesen Schlund, wo kein Mann sich wieder herausfindet! Ich will euch das Holz zum Scheiterhaufen liefern, ich will ihn selber anzünden... Bindet sie mit Ketten, die Teufelin, sie hat die Kraft des Samson in ihren Haaren, sie hat das Feuer der Hölle in ihrem Schoß, sie scheint euch himmlische Musik in ihrer Stimme zu haben, sie tötet mit ihrem Hexenzauber Körper und Seele. Ihr Lächeln schon ist Verderben, und ihre Küsse wollen euch verschlingen. Sie würde einen Heiligen verführen und ihn zum Gottesleugner machen.

     
    Mein Sohn, mein Sohn! Wo bist du jetzt, du Blume meines Lebens, nun vergiftet vom Biß einer Schlange, der deinen Saft vertrocknete und deine Kraft ausdorrte mit dem Pesthauch seines Odems? Meine hohen

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