Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
meinte Finn, »und schon beklagst du dich.«
Kiall mühte sich ab, die Arme durch die Riemen seines Rucksacks zu bekommen, und Maggrig half ihm, indem er die Schlingen über die dicke Ziegenfellweste schob, die Kiall nun trug.
»Er ist zu groß für mich«, sagte Kiall.
»Das nenne ich Dankbarkeit«, knurrte Beltzer, »nach all der Mühe, die ich hatte, ihn dir zu besorgen.«
»Du hast ihn einem toten Nadren abgenommen«, erinnerte Chareos ihn.
»Mußte ihn aber erst töten«, erwiderte Beltzer aufgebracht.
Chareos beachtete ihn nicht und schulterte sein Gepäck. Finn hatte ihm einen pelzgefütterten Umhang mit großer Kapuze geliehen, die er nun aufsetzte und unter dem Kinn festband. Er ging ein Stück zur Seite und zog seinen Säbel. Nach ein paar Ausfällen und Paraden zur Übung schob er das Schwert in die Scheide und rückte die Schlingen seines Gepäcks zurecht. Er senkte die Arme, und der Rucksack fiel herunter … der Säbel zuckte durch die Luft. Noch zweimal wiederholte Chareos das Manöver. Schließlich war er zufrieden und gesellte sich wieder zu den anderen. Sein Rucksack saß jetzt zwar weniger bequem – die Riemen schnitten ihm in die Schultern, und das Gewicht lagerte zu tief in seinem Rücken – , aber er konnte rasch abgeworfen werden, wenn es sein mußte, und das war ihm die Unbequemlichkeit wert.
Die Gruppe brach auf dem eisbedeckten Pfad auf. Chareos war noch nie gern gewandert, hatte auf Finns Rat hin aber die Pferde in der Siedlung gelassen und Naza einen Vorschuß gezahlt, damit er die Tiere fütterte und pflegte, während sie unterwegs waren.
Die beiden Bogenschützen hatten es abgelehnt, die drei Abenteurer zu begleiten. Doch Finn hatte sich immerhin bereit erklärt, sie zum Kreischenden Tor zu führen. Als Chareos hinter Finn herstapfte, überdachte er alle Probleme auf dem vor ihnen liegenden Weg. Die Nadren waren noch immer im Wald, doch sie stellten keine allzugroße Bedrohung dar. Fünf gutbewaffnete Männer sollten abschreckend genug wirken, vor allem, nachdem die Räuber so übel zugerichtet worden waren. Nein, das größte Problem lag jenseits des Tores.
Das Tätowierte Volk war ein Mysterium. Manche sagten, diese Menschen wären einst von dieser Welt gewesen, aber von der Völkerwanderung vor zehn Jahrhunderten zurückgedrängt worden, als die kriegsliebenden Drenai, die Gothir und die wilden Nadirstämme das Land von Norden, Süden und Osten her überrannten. Eine Legende behauptete, das Tätowierte Volk hätte Zauberei benutzt, um ein Tor zwischen Welten zu öffnen, so daß der Stamm in ein verborgenes, fruchtbares und reiches Land entkommen konnte. Eine andere Sage berichtete, daß das Tor schon seit den Tagen vor dem Eisfall bestand – ein letztes Überbleibsel einer einstmals stolzen Zivilisation – , und daß dahinter Berge aus Gold lägen.
Doch wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte, das Tor existierte, und bei seltenen Gelegenheiten kamen ein oder mehrere Angehörige des Tätowierten Volkes hindurch. So war es gewesen, als Okas sechs Monate vor der Schlacht bei Bel-Azar ins Lager der Armee gekommen war. Er hatte sich an Chareos’ Lagerfeuer niedergekauert und schweigend gewartet, bis Beltzer ihm einen Teller mit Fleisch und Brot anbot. Er war ein kleiner, dickbäuchiger Mann, nicht größer als einen Meter fünfzig, und er trug nur ein Lendentuch, das mit hellen Steinen geschmückt war. Sein ganzer Körper war mit blauen Tätowierungen bedeckt; manche besaßen die Form von Blättern, andere bestanden aus runenartigen Symbolen, die um Bilder herum angeordnet waren, welche Szenen am Lagerfeuer darstellten. Auch sein Gesicht war mit geschwungenen Linien tätowiert, und das bartlose Kinn war vollständig blau, geformt wie ein Bart, mit einem gewichsten Schnurrbart darüber. Erstaunlicherweise beherrschte er die Gemeinsame Sprache, wenn auch nicht besonders gut. Doch was noch erstaunlicher war: In den vier Monaten, die Okas bei ihnen war, lernte der ungebildete Beltzer die Sprache des Stammesangehörigen. Okas erwies sich in dieser Zeit als unschätzbar wertvoll. Seine Fähigkeiten im Spurenlesen wurden von niemandem erreicht; zumindest von keinem der Gothir. Und Okas war ein großer ›Finder‹. Chareos’ Offizier Jochell verlor einen wertvollen goldenen Ring und ließ die Unterkünfte aller eingezogenen Männer durchsuchen. Durch Beltzer teilte Okas dem Offizier mit, daß er den vermißten Gegenstand finden würde.
Jochell zweifelte daran, doch er hatte
Weitere Kostenlose Bücher