Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
durchkommt. Vielleicht hat er eine Gelegenheit, hindurchzulaufen.«
»Vergißt du nicht etwas, Chareos?« fragte Maggrig. »Wenn er den falschen Zeitpunkt wählt, weiß niemand, wohin das Tor ihn bringt.«
»Wie ich schon sagte, er ist einfallsreich. Wir warten.«
Eine Zeitlang saßen sie schweigend da. Der Wind frischte auf und trieb den Schnee vor sich her; das Feuer flackerte und schien nur wenig Wärme auszustrahlen. »Wir erfrieren noch bei dieser Warterei«, brummte Beltzer. »Auf der anderen Seite ist es wenigstens wärmer.«
»Es ist kälter, als es sein sollte«, meinte Finn plötzlich. »Als wir hier weggingen, hatte es gerade zu tauen angefangen. Das Wetter hätte sich eigentlich nicht so schnell ändern können.«
»Vielleicht ist es gar nicht so schnell geschehen«, sagte Chareos und zog seinen Umhang fester um sich. »Als ich zuerst durch das Tor schaute, schien ich festgefroren und konnte mich kaum bewegen, für mindestens eine Stunde. Ihr aber sagtet, es wären nur ein paar Herzschläge vergangen. Nun, wir waren einen Tag auf der anderen Seite – das könnte auf dieser Seite eine Woche oder einen Monat bedeuten.«
»Hoffentlich kein Monat, Schwertmeister«, sagte Maggrig leise.
»Wenn doch, sitzen wir den ganzen Winter über in diesem Tal fest. Und es gibt nicht genug Wild.«
»Unsinn!« schnaubte Beltzer. »Wir würden einfach durch das Tor gehen und ein paar Tage abwarten, um dann im Frühling hierher zurückzukehren. Das wäre doch möglich, Chareos?«
Der Schwertmeister nickte.
»Nun, worauf warten wir dann?« fragte Beltzer. »Laßt uns zurückgehen und den Burschen suchen.«
Finn verkniff sich eine zornige Erwiderung, als Beltzer aufstand. In diesem Moment stieg ein Funke aus dem Feuer empor und schwebte in der Luft, schwoll allmählich an zu einem glühenden Ball. Beltzer starrte mit offenem Mund und packte seine Axt. Chareos und die anderen blickten die schwebende Kugel verwundert an, beobachteten voller Erstaunen, wie sie so groß wie der Kopf eines Mannes wurde. Die Farbe verblaßte, bis die Kugel fast durchsichtig war, und die Gefährten konnten sehen, wie sich das Tor und der wirbelnde Schnee darin spiegelten. Finn keuchte auf, als zwei winzige Gestalten in der Kugel erschienen und durch das Miniaturtor schritten.
»Das ist Okas«, sagte Beltzer und starrte in die Kugel. »Und der Junge ist bei ihm.« Er fuhr herum, doch das echte Tor war leer. Die Szenerie innerhalb der schwebenden Kugel schimmerte und veränderte sich. Jetzt konnten sie Finns Hütte sehen, und ein warmes Feuer, das im Kamin brannte. Okas saß mit gekreuzten Beinen vor .: dem Feuer, die Augen geschlossen. Kiall saß am Tisch.
Die Kugel verschwand.
»Er hat den alten Knaben gefunden«, sagte Beltzer. »Er hat Okas gefunden.«
»Ja, und sie sind vor uns da«, murmelte Finn.
Die vier Männer standen auf. Chareos deckte das Feuer ab, und sie marschierten los durch den Schnee.
In der Hütte schlug Okas die Augen auf. »Sie kommen«, sagte er.
»Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben«, antwortete Kiall. »Zwölf Tage ist eine lange Zeit, wenn man in diesem Dschungel festsitzt.«
Okas kicherte. »Sie sind schon vor uns gegangen. Aber ich weiß, wie man das Tor benutzt.« Er stand auf und streckte sich. Er war klein, nicht mehr als ein Meter fünfzig, mir runden Schultern und dickem Bauch. Sein Alter konnte irgendwo zwischen sechzig und hundert liegen, und er sah aus, als ob eine steife Brise ihm die Knochen brechen könnte. Und doch war er durch den Schnee gewandert, nur mit seinem Lendentuch bekleidet, und schien weder unter der Kälte noch an Erschöpfung zu leiden. Und er hinterließ kaum Abdrücke im Schnee, als würde er nicht mehr als ein Vögelchen wiegen. Er sah zu Kiall auf. »Und nun erzähl mir alles, was du über den Großen Khan weißt.«
»Warum interessiert dich das? Das verstehe ich nicht«, sagte Kiall.
»Ich war hier, als er seine Armeen ins Land der Drenai führte«, erklärte Okas. »Und auch, als sie nach Bel-Azar marschierten. Starker Mann, der Khan. Großer Mann, vielleicht. Aber er ist tot, ja?«
»Ich weiß nicht viel über ihn. Er hat die Drenai und die Vagrier unterworfen. Er starb vor einigen Jahren und liegt im Grab von Ulric.«
»Nein, liegt er nicht«, widersprach Okas. »Er ist in einem namenlosen Grab bestattet. Aber ich weiß, wo es ist. Wie starb er?«
»Ich weiß nicht. Sein Herz hat versagt, nehme ich an. So sterben die meisten Leute – selbst Könige.
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