Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
Mäulern, die sich von totem Fleisch ernährten.
Er schlug die obere Tür zu. Sie hatte keinen Riegel, und er stieß sein Schwert in den Schließhaken und verkeilte auf diese Weise die Tür. Schwere Körper krachten gegen das Holz.
»Beltzer!« brüllte Chareos. »Hilf mir!«
Doch es kam keine Antwort. »Maggrig! Finn!«
»Mir scheint, du bist allein, Verwandter«, sagte eine leise Stimme, und Chareos drehte sich langsam um, wohl wissend, wen er sehen würde. Der hochgewachsene Mann saß auf der Kante des Wehrgangs; das schwarze Haar war im Nacken zusammengebunden, und die violetten Augen wirkten im Mondlicht grau.
»Willst
du
mir helfen?« wisperte Chareos.
»Blut hilft immer Blut, mein Freund. Bist du nicht mein Verwandter?«
»Ja. Ja, das bin ich. Willst du mir helfen? Bitte!«
Die Tür zersplitterte, und eine klauenbewehrte Hand fuhr hin durch und zerrte an dem Holz.
»Hinfort!« rief Tenaka Khan. Die zischenden Schreie hinter der Tür wurden leiser, und die Hand verschwand.
»Sind das deine Wesen?« fragte Chareos.
»Nein, aber sie erkennen die Stimme der Macht. Und sie können Angst riechen, wie ein Löwe Blut riecht. Warum hast du Angst, Chareos?«
»Ich weiß nicht, wie ich herkam. Ich bin allein.«
»Das ist keine Antwort. Die Angst brachte dich hierher. Aber was hat deine Angst verursacht?«
Chareos lachte, doch es lag keinerlei Humor darin. »Das fragst ausgerechnet du? Du, der meinen Vater und meine Mutter erschlug und einen Ausgestoßenen aus mir gemacht hast? Ich sollte dich hassen, Tenaka. Einst dachte ich, ich würde dich hassen. Aber dann bist du allein auf diesen Turm geklettert, hast dich zu uns gesetzt und mit uns geredet.« Chareos starrte den Mann vor sich an. Er war genauso gekleidet wie in jener Nacht vor so vielen Jahren, in schwarze Reitstiefel und lederne Beinkleider, darüber ein Hemd aus schwarzer Seide, mit Silber bestickt. »Du nennst mich Verwandter«, wisperte Chareos. »Du weißt, wer ich bin?«
»Ich wußte es, als ich dich zum ersten Mal auf diesem Turm sah« antwortete Tenaka. »Blut erkennt Blut.«
»Ich hätte dich töten sollen!« zischte Chareos, »für all die Qualen. Ich war zwölf, als sie mich von Dros Delnoch fortschickten. In der Nacht, als deine Horden endlich die letzte Mauer erstürmten, wurde ich aus der Festung und ins Land der Gothir gebracht. Die letzten Worte meines Vaters an mich waren: ›Räche mich, mein Sohn. Und denke an die Drenai.‹ Meine Mutter war schon tot. Und wofür? Damit ein verräterischer Schuft wie du die Nadirwilden in die letzte Bastion der Zivilisation bringen konnte. Was meine Angst verursacht? Du wagst es, mich das zu fragen?«
»Ich frage es immer noch«, erwiderte der Khan ruhig. »Und alles, was du mir erzählst, ist eine Geschichte, die ich schon kenne.«
»Du stammst vom Bronzegrafen ab und wurdest von den Drenai erzogen. Wie konntest du sie vernichten?«
»Ja, wie konnte ich nur?« erwiderte der Khan. »Würdest du die Geschichte meines Lebens wirklich kennen, würdest du eine solche Frage nicht stellen. Wie du weißt, wurde ich von den Nadir aufgezogen, bis ich vierzehn war. Glaubst du, du wärst das einzige Kind, das jemals Leid und Zurückweisung erlitten hat? Ich wurde dafür gehaßt, daß ich ein halber Drenai war. Dann wurde ich, wie es der Heiratsvertrag meiner Mutter vorsah, zu den Drenai geschickt. Haben sie sich von den Nadir unterschieden? Nein. Für sie war ich ein Wilder aus der Steppe – ein Wesen, das sie quälen und peinigen konnten. Aber ich lernte, unter ihnen zu leben. Und ich kämpfte für sie. Ich ritt mit dem Drachen. Ich fand sogar ein paar Freunde unter ihnen. Doch als der verrückte Kaiser Ceska das Land mit Terror überzog, riskierte ich mein Leben und meine Seele, um den Drenai zu helfen. Ich habe meine Schulden an sie gezahlt. Ich brachte die Nadir, um die Armee des Kaisers zu vernichten, und ich erlaubte Rayvan und deinem Vater, eine neue Republik zu errichten. Warum ich Dros Delnoch Jahre später eingenommen habe? Weil ich der Khan war! Weil der Tag der Nadir angebrochen war. Doch wenn man mich des Verrats beschuldigen kann – was ist dann mit dir? Warum hast du nicht dem Befehl deines Vaters gehorcht? Warum bis du nicht nach Hause zurückgekehrt?«
»Zu welchem Zweck denn?« rief Chareos. »Um zu sterben? Um was zu erreichen?«
»Also das ist es, was du fürchtest?« antwortete Tenaka Khan.
»Du hattest Angst, es zu versuchen. Angst zu versagen.«
»Wage es nicht, über mich zu
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