Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
Niemand sagte etwas. Sie hatten den Leichnam am Vortag gefunden, im Schilf am Ufer des Flusses Earis.
»Könnten Räuber gewesen sein«, meinte Wardal, ein hochgewachsener, dünner Bogenschütze aus dem Gravenwald weit im Süden.
»Räuber?« höhnte Morak. »Schwachsinn! Ich hatte schon Läuse, die mehr Hirn hatten als du! Wenn es Räuber gewesen wären – meinst du nicht, ein Kämpfer wie Kreeg hätte dann mehr Wunden? Glaubst du nicht, es hätte dann einen Kampf gegeben? Jemand, der sehr gefährlich ist, hat ihm das Geschoß durchs Auge gejagt. Ein Mann mit seltenen Gaben wird getötet – daraus schließe ich, daß er von einem Mann mit
größeren
Gaben getötet wurde. Geht das in deinen Schädel hinein?«
»Du glaubst, es war Waylander«, murmelte Wardal.
»Eine großartige Leistung deiner Vorstellungskraft. Ich gratuliere herzlich. Die Frage ist nur, wo steckt er?«
»Warum sollte er so einfach zu finden sein?« fragte Belash plötzlich. »Er weiß, daß wir da sind.«
»Und welcher leuchtende Funke der Logik bringt dich zu diesem Schluß?«
»Er hat Kreeg getötet. Er weiß Bescheid.«
Morak fühlte einen kalten Windhauch und schauderte. »Wardal, du und Tharic, ihr übernehmt die erste Wache.«
»Weswegen sollen wir denn Wache stehen?« fragte Tharic.
Morak schloß die Augen und holte tief Luft. »Nun«, sagte er schließlich. »Ihr könntet Ausschau nach riesigen Elefanten halten, die unsere gesamten Vorräte zertrampeln. Aber wenn ich du wäre, würde ich auf einen großen Mann achten, ganz in Schwarz gekleidet, der ziemlich gut darin ist, anderen Leute scharfe Gegenstände in die Augen zu schießen.« In diesem Moment trat eine hochgewachsene Gestalt aus dem Gebüsch. Moraks Herz setzte einen Schlag aus; dann aber erkannte er Baris. »Normalerweise ruft man ›Hallo, Lager‹«, tadelte er. »Du hast dir Zeit gelassen, Baris.«
Der blonde Waldläufer ließ sich am Feuer nieder. »Kasyra ist kein Dorf, aber ich habe die Hure gefunden, mit der Kreeg zusammenlebte. Sie hat ihm von einem Mann namens Dakeyras erzählt, der hier in der Nähe lebt. Ich weiß, wo.«
»Es ist der falsche Mann«, sagte Morak. »Wardal und Tharic sind ihm schon begegnet. Was hast du noch herausgefunden?«
»Nicht viel Interessantes«, antwortete Baris und zog die Reste eines Brotlaibs aus dem Beutel an seiner Seite. »Übrigens, seit wann ist Angel Mitglied der Gilde?«
»Angel? Meines Wissens gar nicht«, sagte Morak. »Warum?«
»Er war vor ungefähr einer Woche in Kasyra. Der Wirt hat ihn erkannt. Senta ist auch da. Ich soll dir sagen, wenn er deine Leiche findet, sorgt er für ein schönes Begräbnis.«
Morak hörte gar nicht mehr zu. Er lachte und schüttelte den Kopf. »Wardal, bist du je in der Arena gewesen?«
»Ja. Hab’ Senta kämpfen gesehen. Besiegte einen Vagrier namens … namens …«
»Spielt keine Rolle! Hast du Angel je kämpfen sehen?«
»O ja. Harter Bursche. Habe einmal sogar Geld auf ihn gesetzt und gewonnen.«
»Würdest du sein Gesicht wiedererkennen?«
»Hatte rote Haare, oder?« antwortete Wardal.
»Richtig, Dummkopf. Rote Haare. Und ein Gesicht, das selbst seine Mutter verleugnen würde. Ich frage mich, ob wohl ein winziger Gedanke versucht, seinen Weg durch die Knochenmasse zu finden, die dein Hirn umschließt. Wenn ja, teile ihn mit uns.«
Wardal schniefte laut. »Der Mann bei der Hütte!«
»Der Mann, der behauptete, er wäre Dakeyras, ja«, sagte Morak. »Es war die richtige Hütte, nur der falsche Mann. Morgen geht ihr noch einmal hin. Nehmt Baris und Tharic mit. Nein, das reicht vielleicht nicht. Jonas und Seeris auch. Tötet Angel, und bringt das Mädchen her.«
»Angel ist Gladiator«, wandte Jonas ein, ein kräftiger Krieger mit beginnender Glatze und gegabeltem Bart.
»Ich habe nicht gesagt, du sollst gegen ihn kämpfen«, flüsterte Morak. »Ich sagte, tötet ihn.«
»Von Gladiatoren war nicht die Rede«, beharrte Jonas. »Aufspüren, sagtest du, Findet diesen Dakeyras. Ich habe Angel auch kämpfen sehen. Er ist furchteinflößend. Schlag ihn, verletze ihn … er macht einfach weiter.«
»Ja, ja, ja! Er würde sich gewiß freuen, wenn er hört, daß du zu seinen größten Bewunderern zählst. Aber er ist älter geworden. Hat sich zur Ruhe gesetzt. Geht einfach hin, unterhaltet euch mit ihm, und dann tötet ihn. Wenn das für dich zu riskant ist, dann geh nach Kasyra. Aber verabschiede dich von jedem Gedanken an einen Anteil von den zehntausend
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