Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
auch.«
Varsava zuckte die Achseln. »Ich bewundere jeden, der so offen spricht. Ich verabscheue mich selbst manchmal. Hast du jemals etwas getan, wofür du dich schämst?«
»Noch nicht, aber in Ectanis war ich nahe dran.«
»Was war das?« fragte Varsava.
»Die Stadt war ein paar Wochen zuvor gefallen, und als die Armee kam, waren bereits Breschen in die Mauern geschlagen. Ich ging mit dem ersten Angriffstrupp hinein und tötete viele Bewohner. Und dann, als mich der Blutrausch packte, erzwang ich mir einen Weg in die Hauptkaserne. Ein Kind lief auf mich zu. Es trug einen Speer, und ehe ich noch wußte, was ich tat, hieb ich mit der Axt nach ihm. Der Junge rutschte aus, und so traf ihn nur die flache Seite der Klinge. Er war bewußtlos. Aber ich hatte versucht, ihn zu töten. Hätte ich es getan – ich hätte nicht gut damit leben können.«
»Und das ist alles?«
»Das ist genug«, meinte Druss.
»Du hast noch nie eine Frau vergewaltigt? Oder einen unbewaffneten Mann getötet? Oder gestohlen?«
»Nein. Und das werde ich auch nie.«
Varsava stand auf. »Du bist ein ungewöhnlicher Mann, Druss. Ich glaube, diese Welt wird dich entweder hassen oder verehren.«
»Mir ist es ziemlich egal«, sagte Druss. »Wie weit ist es noch bis zu dieser Gebirgsstadt?«
»Noch zwei Tage. Wir schlagen im Hochwald unser Lager auf. Dort ist es zwar kalt, aber die Luft ist wunderbar frisch. Übrigens, du hast mir noch nicht gesagt, wieso du dich angeboten hast, mir zu helfen.«
»Stimmt«, erwiderte Druss grinsend. »Und jetzt laß uns einen Lagerplatz suchen.«
Sie wanderten weiter, durch einen langgestreckten Paß, der sich auf ein Kiefernwäldchen und ein breites, birnenförmiges Tal öffnete. Das Tal war von Häusern gesprenkelt, die sich vorwiegend zu beiden Ufern eines schmalen Flusses drängten. Druss musterte das Tal. »Das müssen etwa fünfzig Häuser sein«, schätzte er.
»Ja«, stimmte Varsava ihm zu. »Vor allem Bauern. Cajivak läßt sie in Ruhe; denn sie versorgen ihn während der Wintermonate mit Fleisch und Getreide. Aber es wird das Beste sein, wir schlagen im tiefen Wald ein Lager auf; denn Cajivak hat sicher Spione im Dorf, und ich möchte nicht, daß unser Kommen bemerkt wird.«
Die beiden Männer verließen den Paß und traten in den Schutz der Bäume. Hier hatte der Wind weniger Kraft, und sie wanderten weiter, um einen Lagerplatz zu suchen. Die Landschaft ähnelte den Bergen in Druss’ Heimat, und er dachte wieder einmal an die Tage des Glücks mit Rowena. Als er mit Shadak aufgebrochen war, um sie zu suchen, war er überzeugt gewesen, daß sie nur ein paar Tage voneinander trennten. Selbst an Bord des Schiffes hatte er geglaubt, seine Suche wäre so gut wie vorüber. Doch die Monate und Jahre, die seither vergangen waren, hatten an seiner Zuversicht genagt. Er wußte, daß er die Jagd nie aufgeben würde, aber zu welchem Zweck? Was, wenn Rowena verheiratet war oder Kinder hatte? Was, wenn sie ihr Glück ohne ihn gefunden hatte? Was, wenn er dann wieder in ihr Leben trat?
Seine Gedanken wurden von Gelächter unterbrochen, das durch die Bäume hallte. Varsava blieb stehen und schlich sich lautlos ins Gebüsch. Druss folgte ihm. Links vor ihnen befand sich eine Senke, durch die ein kleiner Bach rann, und in der Mitte der Senke warfen Männer mit Messern auf einen Baumstumpf. Ein alter Mann war mit ausgebreiteten Armen an den Baum gefesselt. Ein Messer hatte die Haut seines Gesichts geritzt; er hatte Wunden an beiden Armen, und ein Messer ragte aus seinem Oberschenkel. Für Druss war offensichtlich, daß die Männer mit dem alten Mann spielten, um zu sehen, wie nahe sie mit ihren Messern kamen. Links von dem Baumstamm kämpften drei andere Männer mit einem jungen Mädchen. Es schrie, während die Männer ihr das Kleid zerrissen und das Mädchen zu Boden stießen. Als Druss seinen Rucksack abnahm und den Hang hinunter eilte, packte Varsava ihn am Arm. »Was soll das? Es sind zehn Mann!«
Doch Druss schüttelte ihn ab und marschierte durch den Wald, bis er hinter den sieben Messerwerfern zum Vorschein kam. So, wie sie sich auf ihr Opfer konzentrierten, bemerkten sie ihn nicht. Druss packte die Köpfe der beiden nächsten Messerwerfer und stieß sie mit aller Wucht zusammen. Mit einem widerlichen Knacken sanken beide Männer zu Boden, ohne einen Laut. Ein dritter Mann fuhr bei dem Geräusch herum, hatte aber keine Lust mehr, zu reagieren, als ein silberbeschlagener Handschuh ihn in den Mund traf,
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