Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
der andere. Wieder ging Druss weiter, und er hörte hinter sich, wie die Stimme der Frau zu dem alten Mann sprach:
»Komm her! Komm!« Druss sah sich nicht um, doch nur Augenblicke später hörte er einen furchtbaren Schrei.
Der Pfad führte immer weiter durch den Nebel, flach und gerade wie ein Speer. Es waren noch andere unterwegs. Manche gingen aufrecht, andere schlurften daher. Niemand sagte ein Wort. Druss schritt schweigend durch sie hindurch, blickte in ihre Gesichter, suchte Rowena.
Eine junge Frau stolperte vom Weg ab und fiel auf die Knie. Sofort packte eine schuppige Hand ihren Mantel und zerrte sie fort. Druss war zu weit weg, um helfen zu können, und fluchend ging er weiter.
Viele Pfade mündeten in den Weg, und Druss stellte fest, daß er mit einer großen Zahl schweigender Menschen unterwegs war, jungen wie alten. Ihre Gesichter waren leer, ihre Mienen zerstreut. Viele verließen den Weg und wanderten durch den Nebel.
Es kam dem Axtschwinger so vor, als würde er seit vielen Tagen wandern. Hier gab es kein Gefühl für Zeit, keine Müdigkeit, keinen Hunger. Wenn er vorausschaute, sah er riesige Scharen von Seelen, die über den nebelverhangenen Weg wanderten.
Verzweiflung überkam ihn. Wie sollte er sie unter so vielen finden? Unbarmherzig schob er die Furcht aus seinen Gedanken und konzentrierte sich nur darauf, in die Gesichter zu schauen, während er immer weiter ging. Nichts wäre jemals erreicht worden, dachte er, wenn die Menschen sich von den zahllosen Problemen hätten ablenken lassen, vor die sie sich gestellt sahen.
Nach einer Weile merkte Druss, daß der Weg anstieg. Er konnte weiter voraussehen, und der Nebel wurde dünner. Hier gab es keine einmündenden Pfade mehr; der Weg selbst war eine Straße, die mehr als dreißig Meter breit war. Weiter und weiter ging er, drängte sich durch die schweigende Menge. Dann sah er, daß die Straße sich wieder gabelte. Zahlreiche Pfade führten zu bogenförmigen Tunneln, die düster und abweisend wirkten.
Ein kleiner Mann in einem Gewand aus grober, brauner Wolle wanderte zurück durch den Strom der Seelen. Er sah Druss und lächelte. »Geh weiter, mein Sohn«, sagte er und klopfte Druss auf die Schulter.
»Warte!« rief der Axtschwinger, als der Mann an ihm vorbeiging. Braunhemd drehte sich erstaunt um. Er ging zu Druss und winkte ihn an den Straßenrand.
»Laß mich deine Hand sehen, Bruder«, bat er.
»Was?«
»Deine Hand, deine rechte Hand. Zeig sie mir!« Der kleine Mann war beharrlich. Druss streckte seine Hand aus, und Braunhemd nahm sie und betrachtete angespannt die schwielige Handfläche. »Du bist noch nicht bereit, überzusetzen, Bruder. Warum bist du hier?«
»Ich suche jemanden.«
»Ach«, sagte der Mann, offenbar erleichtert. »Du bist das verzweifelnde Herz. Viele von euch versuchen durchzukommen. Ist deine Liebste gestorben? Hat die Welt dir übel mitgespielt? Wie die Antwort auch lautet, Bruder, du mußt dorthin zurückkehren, wo du herkommst. Hier gibt es nichts für dich – es sei denn, du weichst vom Weg ab. Und dann gibt es nur die Ewigkeit des Leids. Geh zurück!«
»Ich kann nicht. Meine Frau ist hier. Und sie lebt − genau wie ich.«
»Wenn sie lebt, Bruder, wird sie die Pforten nicht vor dir passiert haben. Keine lebende Seele kann hindurch. Du hast keine Münze.« Er streckte die eigene Hand aus. Dort schmiegte sich ein schwarzer Schatten an, kreisrund und unwirklich. »Für den Fährmann«, erklärte er, »und den Weg ins Paradies.«
»Wenn sie nicht durch die Tunnel konnte, wo könnte sie dann sein?« fragte Druss.
»Ich weiß es nicht, Bruder. Ich habe den Weg nie verlassen, und ich weiß nicht, was jenseits davon liegt. Ich weiß nur, daß das Land von den Seelen der Verdammten bewohnt wird. Geh zum Vierten Tor. Frage nach Bruder Domitori. Er ist der Hüter.«
Braunhemd lächelte. Dann ging er davon und wurde von der Menge verschluckt. Druss reihte sich wieder in den Strom ein und wanderte zum Vierten Tor, neben dem schweigend ein anderer Mann in einem braunen Kapuzenhemd stand. Er war groß und hatte runde Schultern und traurige, ernste Augen. »Bist du Bruder Domitori?« fragte Druss.
Der Mann nickte, sagte jedoch nichts.
»Ich suche meine Frau.«
»Geh hinein, Bruder. Wenn ihre Seele lebt, wirst du sie finden.«
»Sie hatte keine Münze«, sagte Druss. Der Mann nickte und deutete auf einen schmalen, gewundenen Pfad, der sich aufwärts um einen Hügel wand.
»Es gibt viele solche«, sagte
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