Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
erklärte sie. »Opfer von Verzweiflung, von Schuld, von Sehnsucht. Meistens Selbstmorde. Während sie hier umherwandern, sterben ihre Körper – wie Rowena.«
»Sie ist nicht schwach.«
»Natürlich ist sie das. Sie ist ein Opfer der Liebe – genau wie du. Und Liebe ist letzten Endes der Untergang der Menschheit. In der Liebe gibt es keine dauerhafte Kraft, Druss. Sie verschleißt die natürliche Kraft eines Menschen. Sie befleckt das Herz des Jägers.«
»Das glaube ich nicht.«
Sie lachte, und es klang trocken wie das Klappern von Knochen. »O doch, das tust du«, sagte sie. »Du bist kein Mann der Liebe, Druss. Oder war es etwa Liebe, deretwegen du auf das Deck des Piratenschiffs gesprungen bist und um dich geschlagen hast? War es Liebe, die du über die Brüstung in Ectanis geschickt hast? War es Liebe, die dich durch die Kämpfe der Arena in Mashrapur geführt hat?« Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »War es Liebe?«
»Ja. Alles war für Rowena – um mir zu helfen, sie zu finden. Ich liebe sie.«
»Das ist keine Liebe, Druss, sondern wahrgenommene Notwendigkeit. Du kannst nicht ertragen, was du ohne sie bist – ein Wilder, ein Mörder, ein Rohling. Doch mit ihr ist es etwas anderes. Du kannst von ihrer Reinheit profitieren, sie in dich aufnehmen wie edlen Wein. Und dann kannst du die Schönheit einer Blume sehen, den Duft des Lebens im Sommerwind riechen. Ohne sie siehst du dich selbst als Wesen ohne Wert. Und nun beantworte mir dies, Axtschwinger: Wenn es wirklich Liebe wäre, würdest du nicht vor allem anderen wünschen, daß sie glücklich ist?«
»Ja, das würde ich. Und das tue ich!«
»Wirklich? Und als du festgestellt hast, daß sie glücklich ist, daß sie mit einem anderen Mann lebte, der sie liebte, daß ihr Leben reich und sicher war, was hast du getan? Hast du versucht, Gorben zu überzeugen, daß er Michanek verschont?«
»Wo ist diese Brücke?« fragte er.
»Das ist nicht leicht zu ertragen, was?« beharrte sie.
»Ich bin kein Mann der Worte, Weib. Ich weiß nur, daß ich für sie sterben würde.«
»Ja, ja. Typisch Mann – immer auf der Suche nach der einfachen Lösung, den schlichten Antworten.« Sie ging weiter, über den Hügelkamm. Dort hielt sie inne und lehnte sich auf ihren Stab. Druss blickte in den Abgrund, der sich dort auftat. Tief unten strömte ein Fluß aus Feuer, aus dieser Entfernung nur ein Flammenband, durch eine schwarze Schlucht. Über die Schlucht erstreckte sich eine schmale Brücke aus schwarzen Seilen und grauem Holz. In der Mitte stand ein Krieger in Schwarz und Silber, eine riesige Axt in den Händen.
»Sie ist auf der anderen Seite«, sagte die alte Frau. »Aber um zu ihr zu gelangen, mußt du an dem Wächter vorbei. Erkennst du ihn?«
»Nein.«
»Du wirst schon noch.«
Die Brücke wurde von zwei dicken schwarzen Tauen gesichert, die an zwei Steinblöcken festgebunden waren. Die hölzernen Planken, aus denen die Konstruktion hauptsächlich bestand, waren nach Druss’ Schätzung etwa einen Meter lang und zwei Zentimeter dick. Er trat auf die Brücke, die sofort zu schaukeln begann. Es gab kein Geländer oder Tau zum Festhalten, und als er nach unten sah, wurde ihm übel von einem Schwindelanfall.
Langsam wanderte er über den Abgrund hinaus, die Blicke fest auf die Planken gerichtet. Er hatte die Entfernung zu dem Mann in Silber schon halb überwunden, ehe er aufblickte. Da traf ihn der Schock wie ein Blitz.
Der Mann lächelte, und seine Zähne strahlten weiß in dem schwarzsilbernen Bart. »Ich bin nicht du, Junge«, sagte er. »Ich bin alles, was du hättest sein können.«
Druss starrte den Mann an. Er war das genaue Abbild von Druss selbst, nur daß er älter war und seine Augen, kalt und blaß, viele Geheimnisse zu verbergen schienen.
»Du bist Bardan«, sagte Druss.
»Und stolz darauf. Ich habe meine Stärke genutzt, Druss. Ich habe Männer vor Angst zittern lassen. Ich habe mein Vergnügen genommen, wo ich es gefunden habe. Ich bin nicht wie du, stark im Körper, aber schwach im Herzen. Du schlägst nach Bress.«
»Das betrachte ich als Kompliment«, sagte Druss. »Denn ich hätte nie wie du sein wollen – ein Kindermörder und Frauenschänder. Darin liegt keine Stärke.«
»Ich habe mit Männern gekämpft. Niemand konnte Bardan der Feigheit beschuldigen. Bei Shemaks Eiern, Junge, ich habe gegen Armeen gekämpft!«
»Ich sage, du warst ein Feigling«, sagte Druss. »Die schlimmste Sorte. Die Stärke, die du hattest, kam
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