Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Shadak, »auch du blutest. Komm her! Blute noch ein bißchen.«
Jonacin schrie auf und stürzte vor, doch Shadak wich zur Seite und hieb seinen Säbel durch den Hals des Sathulis. Als der Sterbende zu Boden fiel, verspürte Shadak eine ungeheure Erleichterung, und eine Erkenntnis wallte in ihm auf: du lebst!
Doch seine Karriere war zunichte gemacht. Die Vertragsverhandlungen blieben ergebnislos, und nach Shadaks Rückkehr nach Drenan wurde sein Offizierspatent zurückgezogen.
Darauf hatte Shadak seine wahre Berufung entdeckt: Shadak, der Jäger. Shadak, der Spurenleser. Gesetzlose, Mörder, Deserteure – er jagte sie alle, folgte ihrer Spur wie ein Wolf.
In all den Jahren seit dem Kampf mit Jonacin hatte er niemals wieder solche Angst gehabt. Bis heute, als der junge Axtschwinger in den Sonnenschein getreten war.
Er ist jung und ungeübt. Ich hätte ihn getötet, sagte er sich.
Aber dann stellte er sich wieder die eisblauen Augen und die schimmernde Axt vor.
Druss saß unter den Sternen. Er war müde, konnte aber nicht schlafen. Ein Fuchs schlich heran, pirschte sich an einen Leichnam. Druss warf einen Stein nach ihm, und das Tier huschte davon … wenn auch nicht weit.
Morgen würden die Krähen hier ein Festmahl halten, und die anderen Aasfresser würden an dem toten Fleisch zerren. Erst vor wenigen Stunden war dies eine lebendige Gemeinschaft gewesen, voller Menschen, die ihre Hoffnungen und Träume hegten. Druss erhob sich und ging über die Hauptstraße der Siedlung, vorbei am Haus des Bäckers, dessen Leichnam in der Tür lag, seine tote Frau neben ihm. Die Schmiede stand offen; die Feuer glühten noch schwach. Hier lagen drei Tote. Tetrin der Schmied hatte es geschafft, zwei der Räuber zu töten, indem er sie mit seinem Schmiedehammer niederschlug. Tetrin selbst lag neben dem großen Amboß; seine Kehle war durchgeschnitten. Druss wandte sich ab.
Wozu das alles? Sklaven und Gold. Die Räuber scherten sich nicht um die Träume anderer Menschen. »Dafür werdet ihr bezahlen!« sagte Druss. Er warf einen Blick auf den Schmied. »Ich werde euch rächen. Und eure Söhne. Ich räche euch alle«, versprach er.
Als er an Rowena dachte, wurde ihm die Kehle trocken, und sein Herz schlug schneller. Er kämpfte seine Ängste nieder und blickte sich in der Siedlung um.
Im Mondlicht wirkte das Dorf noch immer seltsam lebendig, denn die Gebäude waren allesamt unberührt. Druss wunderte sich darüber. Warum hatten die Räuber die Siedlung nicht in Brand gesetzt? In allen Geschichten, die er über solche Angriffe gehört hatte, brannten die Plünderer die Häuser nieder. Dann erinnerte er sich an den Trupp Drenaikavallerie, der in der Wildnis patrouillierte. Eine Rauchsäule würde sie alarmieren, falls sie in der Nähe waren.
Druss wußte nun, was er zu tun hatte. Er ging zu Tetrin, schleppte den Körper über die Straße zur Versammlungshalle, trat die Tür auf und zerrte den Toten hinein, wo er ihn mitten in der Halle ablegte. Dann ging er zurück auf die Straße und begann, jeden einzelnen Leichnam hineinzutragen, alle Toten der Gemeinde. Er war müde gewesen, als er anfing, und er war erschöpft bis ins Mark, als er fertig war. Vierundzwanzig Tote hatte er in die langgestreckte Halle getragen, hatte darauf geachtet, daß die Ehemänner neben ihren Frauen lagen und ihre Kinder dicht bei ihnen. Er wußte nicht, warum er es tat, doch es schien irgendwie richtig.
Zum Schluß trug er Bress ins Gebäude und legte ihn neben Patica. Dann kniete er neben der Frau nieder, nahm die tote Hand in die seine und senkte den Kopf. »Ich danke dir«, sagte er leise, »für die Jahre der Fürsorge und für die Liebe, die du meinem Vater geschenkt hast. Du hast etwas Besseres verdient als das hier, Patica.«
Als allen Toten Genüge getan war, begann Druss, Holz aus dem Winterlager zu holen und es entlang der Wände und über den Leichen aufzustapeln. Zum Schluß schleppte er ein großes Faß mit Lampenöl aus dem Lagerhaus, das er über das Holz goß und an die trockenen Wände spritzte.
Als die Morgendämmerung den östlichen Horizont streifte, hielt er eine Flamme an den Scheiterhaufen und blies das Feuer an. Die morgendliche Brise leckte an den Flammen in der Tür, die das Holz dahinter ergriffen und dann hungrig an der ersten Wand emporloderten.
Druss trat zurück auf die Straße. Zuerst gab es nur wenig Rauch, doch als das Feuer zum Inferno wurde, stieg eine schwarze Säule aus öligem Rauch in den Morgenhimmel,
Weitere Kostenlose Bücher