Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
saß.
»Du wirst langsam alt«, sagte Shadak zu sich selbst, den Blick unverwandt auf Druss gerichtet. »Deinetwegen fühle ich mich alt«, flüsterte er. Seit zwanzig Jahren hatte kein Mann solche Angst in Shadak hervorgerufen. Er erinnerte sich noch sehr gut an den damaligen Augenblick – es war ein Sathulikrieger namens Jonacin gewesen, ein Mann mit Augen aus Eis und Feuer, eine Legende bei seinem Volk. Als Streiter des Herrschers hatte er siebzehn Männer im Zweikampf getötet, darunter auch Vearl, den vagrischen Sieger.
Shadak hatte den Vagrier gekannt – einen großen, schlanken Mann, blitzschnell und ein guter Taktiker. Der Sathuli, sagte man, hatte ihn wie einen Anfänger aussehen lassen und ihm erst das rechte Ohr abgeschnitten, ehe er ihm mit einem Stoß ins Herz den Rest gab.
Shadak lächelte bei der Erinnerung daran, daß er von ganzem Herzen gehofft hatte, niemals gegen diesen Mann kämpfen zu müssen. Doch solche Hoffnungen grenzten an Magie, wie er jetzt wußte. Alle Menschen sehen sich irgendwann mit ihren dunkelsten Ängsten konfrontiert.
Es war ein goldener Morgen in den Delnochbergen gewesen. Die Drenai verhandelten über Verträge mit einem Sathuli-Häuptling. Shadak war lediglich als einer der Leibwächter des Gesandten dabei. Jonacin war am Abend zuvor beim Essen ziemlich beleidigend gewesen und hatte höhnisch über die Fechtkünste der Drenai gesprochen. Doch am nächsten Morgen trat ihm der weißgekleidete Sathuli in den Weg, als er zur Großen Halle ging.
»Man behauptet, du wärst ein Kämpfer«, sagte Jonacin grinsend.
Shadak blieb trotz des unheilvollen Blicks des anderen gelassen. »Geh bitte zur Seite. Ich werde bei dem Gespräch erwartet.«
»Ich gehe zur Seite – sobald du mir die Füße geküßt hast.«
Shadak war damals zweiundzwanzig gewesen, in der Blüte seiner Jahre. Er blickte in Jonacins Augen und wußte, daß er die Auseinandersetzung nicht vermeiden konnte. Andere Sathulikrieger scharten sich um sie, und Shadak zwang sich zu einem Lächeln. »Deine Füße küssen? Wohl kaum. Du kannst stattdessen das hier küssen!« Seine rechte Faust landete am Kinn des Sathulis, der sich um die eigene Achse drehte und zu Boden stürzte. Dann ging Shadak weiter und nahm seinen Platz am Verhandlungstisch ein.
Als er sich setzte, warf er einen Blick auf den Sathulihäuptling, einen hochgewachsenen Mann mit dunklen, grausamen Augen. Der Mann blickte ihn an, und Shadak glaubte, einen Hauch leichter Belustigung, wenn nicht sogar Triumph in dessen Augen zu lesen. Ein Bote flüsterte ihm etwas ins Ohr, und der Häuptling erhob sich. »Die Gastfreundschaft meines Hauses ist mißbraucht worden«, erklärte er dem Gesandten. »Einer deiner Männer hat meinen besten Kämpfer geschlagen, Jonacin. Der Angriff war ungerechtfertigt. Jonacin verlangt Genugtuung.«
Der Gesandte war sprachlos. Shadak stand auf. »Er soll sie haben, Herr. Aber laß uns auf dem Friedhof kämpfen. Dann müßt ihr seine Leiche wenigstens nicht weit tragen.«
Jetzt brachte der Schrei einer Eule Shadak zurück in die Gegenwart, und er sah Druss auf sich zukommen. Der junge Mann schien zuerst vorbeigehen zu wollen, blieb dann aber stehen. »Ich hatte keine Worte«, sagte er. »Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.«
»Setz dich für einen Augenblick, und laß uns von ihnen sprechen«, sagte Shadak. »Es heißt, daß unsere Anerkennung den Toten zu ihrem Ruheplatz folgt. Vielleicht stimmt es ja.«
Druss setzte sich neben den Schwertkämpfer »Es gibt nicht viel zu erzählen. Er war Zimmermann, und er fertigte Broschen. Sie war ein gekauftes Eheweib.«
»Sie haben dich aufgezogen und dir geholfen, stark zu werden?«
»Dafür brauchte ich keine Hilfe.«
»Da irrst du dich, Druss. Wenn dein Vater schwach gewesen wäre, oder rachsüchtig, hätte er dich als Kind geschlagen und dich deines Geistes beraubt. Meiner Erfahrung nach braucht es einen starken Mann, um einen starken Mann zu erziehen. War das seine Axt?«
»Nein. Sie gehörte meinem Großvater.«
»Bardan der Axtschwinger«, sagte Shadak leise.
»Woher weißt du das?«
»Es ist eine berüchtigte Waffe. Snaga. So hieß sie. Dein Vater hatte ein schweres Leben, weil er versuchen mußte, ein solches Ungeheuer wie Bardan in Vergessenheit geraten zu lassen. Was geschah mit deiner leiblichen Mutter?«
Druss zuckte die Achseln. »Sie starb bei einem Unfall, als ich noch ein Kleinkind war.«
»Ach ja, ich erinnere mich an die Geschichte«, sagte
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