Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Er rieb sich die Augen; seine Gedanken schweiften zurück zur Akademie und zu den Tagen mit Bodasen und dem jungen Prinzen.
»Wir werden die Welt verändern«, sagte der Prinz. »Wir werden die Armen speisen und Arbeit für alle schaffen. Und wir werden die Räuber aus Ventria vertreiben und ein Reich des Friedens und des Wohlstands errichten.«
Harib Ka lachte trocken und nippte an seinem Wein. Ungestüme Tage, eine Zeit der Jugend und des Optimismus, mit ihrem Gerede von Rittern und tapferen Taten, großen Siegen und dem Triumph des Lichts über die Dunkelheit.
»Es gibt weder Licht noch Dunkelheit«, sagte er laut. »Nur Macht.«
Dann dachte er an das erste Mädchen … wie hieß sie noch … Mari? Ja. Willig, seinen Wünschen gegenüber fügsam, warm, weich. Sie hatte bei seiner Berührung vor Lust aufgeschrien. Nein. Sie hatte so getan, als ob ihr sein rauhes Liebesspiel gefiel. »Ich tue alles für dich – aber tu mir nicht weh.«
Tu mir nicht weh.
Der kalte Herbstwind ließ die Zeltwände knattern. Nach den zwei Stunden, die er sich mit Mari vergnügt hatte, spürte er das Bedürfnis nach einer zweiten Frau, und er hatte die Hexe mit den haselnußbraunen Augen gewählt. Das war ein Fehler. Sie war in sein Zelt getreten und hatte sich die aufgescheuerten Handgelenke gerieben. Ihre Augen waren groß und kummervoll.
»Du willst mich vergewaltigen?« hatte sie leise gefragt.
Er hatte gelächelt. »Nicht unbedingt. Es liegt bei dir. Wie heißt du?«
»Rowena«, antwortete sie. »Und wieso liegt es an mir?«
»Du kannst dich mir hingeben, oder du kannst dich gegen mich wehren. Wie auch immer, das Ergebnis ist das gleiche. Warum also nicht das Liebesspiel genießen?«
»Wieso sprichst du von Liebe?«
»Was?«
»Da ist keine Liebe dabei. Du hast die Menschen getötet, die ich liebte. Und jetzt willst du dein Vergnügen auf Kosten der Würde, die mir noch geblieben ist.«
Er ging zu ihr und packte ihre Oberarme. »Du bist nicht hier, um mit mir zu diskutieren, Hure! Du bist hier, um das zu tun, was man dir sagt.«
»Warum nennst du mich Hure? Macht das deine Handlungsweise einfacher für dich? Oh, Harib Ka, wie würde Rajica deine Taten wohl beurteilen?«
Er zuckte zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. »Was weißt du von Rajica?«
»Nur, daß du sie geliebt hast – und daß sie in deinen Armen starb.«
»Du bist eine Hexe!«
»Und du bist verloren, Harib Ka. Alles, was dir einst teuer war, hast du verkauft – deinen Stolz, deine Ehre, deine Lebensfreude.«
»Ich lasse mich nicht von dir beurteilen«, sagte er, doch er machte keine Anstalten, sie zum Schweigen zu bringen.
»Ich urteile nicht über dich«, erwiderte sie. »Ich bemitleide dich. Und ich sage dir: Wenn du mich und die anderen Frauen nicht freiläßt, wirst du sterben.«
»Dann bist du wohl auch Seherin?« spöttelte er. »Ist die Drenai-Kavallerie in der Nähe, Hexe? Wartet irgendwo eine Armee darauf, über mich und meine Männer herzufallen? Nein. Versuche nicht, mir zu drohen, Mädchen! Was ich auch verloren haben mag, ich bin noch immer ein Krieger und – vielleicht mit Ausnahme von Collan – der beste Schwertkämpfer, den du je sehen wirst. Ich fürchte den Tod nicht. Nein. Manchmal sehne ich ihn herbei.« Er spürte, wie seine Leidenschaft verebbte. »Also, sag mir, welche Gefahr steht mir bevor?«
»Er heißt Druss. Er ist mein Mann.«
»Wir haben alle Männer im Dorf getötet.«
»Nein. Er war im Wald, um Holz für die Palisade zu fällen.«
»Ich habe sechs Männer dorthin geschickt.«
»Aber sie sind nicht zurückgekehrt«, betonte Rowena.
»Willst du damit sagen, er hat sie alle getötet?«
»Ja«, erwiderte sie leise, »und jetzt ist er auf dem Weg zu dir.«
»Das klingt, als wäre er ein Krieger wie aus der Legende«, sagte Harib unbehaglich. »Ich könnte Männer zurückschicken, um ihn zu töten.«
»Ich hoffe, du tust es nicht.«
»Du fürchtest um sein Leben?«
»Nein. Ich würde ihres beklagen.« Sie seufzte.
»Erzähl mir von ihm. Ist er ein Schwertkämpfer? Ein Soldat?«
»Nein, er ist der Sohn eines Zimmermanns. Aber einmal träumte ich, daß ich ihn auf einem Berg sah. Er trug einen schwarzen Bart, und seine Axt war blutverschmiert. Und vor ihm waren Hunderte von Seelen. Sie standen da und trauerten um ihr Leben. Immer mehr Seelen entströmten seiner Axt, und sie klagten. Männer aus vielen Völkern, sich blähend wie Rauch, bis der Wind
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