Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Kämpfen, mein Freund. Aber ich bin darauf angewiesen, daß du einen kühlen Kopf bewahrst. Kein wildes Drauflosschlagen!«
»Mach dir um mich keine Sorgen, Jäger. Ich will nur meine Frau wiederhaben.«
Shadak nickte. »Das verstehe ich. Aber was ist, wenn sie vergewaltigt wurde?«
Druss’ Augen funkelten, seine Finger schlossen sich um den Stiel seiner Axt. »Warum fragst du mich das gerade jetzt?«
»Mit Sicherheit sind einige der Frauen vergewaltigt worden. So sind Männer wie die dort nun mal. Sie nehmen sich ihr Vergnügen, wo sie wollen. – Wie kühl bist du jetzt?«
Druss schluckte seinen aufsteigenden Zorn herunter. »Kühl genug. Ich bin kein Berserker, Shadak. Ich weiß es! Und ich werde deinen Plan bis in die letzte Einzelheit ausführen. Leben oder sterben. Siegen oder unterliegen.«
»Gut. Aufbruch zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Die meisten werden zu diesem Zeitpunkt fest schlafen. Glaubst du an die Götter?«
»Nein, denn ich habe noch nie einen gesehen.«
Shadak grinste. »Ich auch nicht. Damit kommt Beten um göttlichen Beistand wohl nicht für uns in Frage.«
Druss schwieg einen Moment. »Sag mir jetzt«, bat er schließlich, »warum du einen Ehrenkodex brauchst.«
Shadaks Gesicht leuchtete geisterhaft weiß im Mondlicht; seine Miene war plötzlich streng und abweisend. Dann entspannte er sich und blickte hinab auf das Lager der Räuber. »Diese Männer da unten haben nur einen Kodex. Er ist einfach: Tu was du willst, das ist das einzige Gesetz. Verstehst du?«
»Nein«, gestand Druss.
»Sie glauben, was immer sie durch ihre Stärke erlangen, ist rechtmäßig ihr Eigentum. Wenn ein anderer Mann etwas hat, das sie begehren, töten sie den anderen. In ihren Augen ist das richtig. Es ist das Gesetz, das die Welt ihnen bietet – das Gesetz des Wolfes. Und du und ich, wir unterscheiden uns nicht nicht von ihnen, Druss. Wir haben dieselben Wünsche, dasselbe Verlangen. Wenn wir uns von einer Frau angezogen fühlen – warum sollten wir sie nicht haben, egal, was sie empfindet? Wenn ein anderer Mann Reichtümer besitzt, warum sollten wir sie nicht nehmen, wenn wir stärker, tödlicher sind als er? Es ist eine Falle, in die man leicht hineingeraten kann. Collan war früher Offizier bei den Drenai-Lanzenreitern. Er stammt aus guter Familie und hat den Eid ebenso geleistet wie ich. Als er die Worte sprach, glaubte er wahrscheinlich auch daran. Doch in Drenan begegnete er einer Frau, die er heiß begehrte, und sie wollte ihn. Aber sie war verheiratet. Collan ermordete ihren Mann. Dies war sein erster Schritt auf dem Weg ins Verderben; die nächsten Schritte waren leicht. Als ihm das Geld knapp wurde, wurde Collan Söldner. Er kämpfte für Gold – für jede Sache, ob richtig oder falsch, gut oder böse. Er sah nur noch das, was gut für ihn selbst war. Dörfer waren lediglich dazu da, daß er sie überfallen und berauben konnte. Harib Ka ist ein ventrischer Adliger, entfernt verwandt mit dem Königshaus. Seine Geschichte ist ähnlich. Beiden fehlte der Eiserne Kodex. Ich bin kein guter Mann, Druss, aber der Kodex hält mich auf dem Weg des Kriegers.«
»Ich kann verstehen«, sagte Druss, »daß ein Mann zu beschützen versucht, was ihm gehört, und nicht für Gewinn stiehlt oder tötet. Aber das erklärt nicht, warum du heute nacht dein Leben für Frauen riskierst, die du nicht kennst.«
»Weiche nie vor einem Feind zurück, Druss. Entweder kämpfe oder ergib dich. Es reicht nicht zu sagen, ich will nicht böse sein. Das Böse muß bekämpft werden, wo man es findet. Ich jage Collan nicht nur, weil er meinen Sohn getötet hat, sondern für das, was er ist. Aber falls nötig, werde ich diese Jagd heute Nacht aufschieben, um die Mädchen zu befreien. Sie sind wichtiger.«
»Vielleicht«, meinte Druss, nicht überzeugt. »Ich will nichts weiter als Rowena und ein Heim in den Bergen. Der Kampf gegen das Böse ist mir egal.«
»Ich hoffe, das ändert sich«, sagte Shadak.
Harib Ka konnte nicht schlafen. Die Erde unter dem Boden des Zeltes war hart, und trotz der Hitze des Kohlenbeckens fror er bis ins Mark. Das Gesicht des Mädchens verfolgte ihn. Er setzte sich auf und griff nach dem Weinkrug. Du trinkst zuviel, ermahnte er sich. Er streckte sich, goß sich einen Becher voll mit rotem Wein und leerte ihn in zwei Zügen. Dann schob er die Decken von sich und stand auf. Sein Kopf schmerzte. Er setzte sich auf einen mit Leinen bespannten Hocker und schenkte sich nach.
Was ist aus dir geworden?
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