Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
rechtzeitig, um die Messerklinge zu sehen. Mit dem rechten Arm wehrte er ihren Stoß ab und hieb ihr seine Faust ans Kinn. Ihr Kopf fiel zurück, und sie sackte aufs Bett. Er entwand sein Messer ihrer linken Hand und warf die Waffe quer durchs Zimmer.
Nosta Khan trat ein. »Was war hier los?« fragte er.
»Sie nahm mein Messer und versuchte, mich zu töten. Aber es war nicht Zhusai. Sie ist besessen.«
»Dein Diener sagte es mir. Der Geist von Shul-sen will zurück ins Leben. Du hättest eher zu mir kommen sollen, Talisman. Wie viele Geheimnisse hast du noch vor mir?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zum Bett. »Binde ihr die Hände auf dem Rücken zusammen«, befahl er Gorkai. Der Krieger warf einen Blick auf Talisman, der mit einem knappen Nicken zustimmte. Mit einem dünnen Strick band Gorkai ihr die Handgelenke zusammen, dann hoben Nosta Khan und er sie hoch und lehnten sie gegen die Kissen. Aus einem alten Beutel, der an seinem Gürtel hing, zog Nosta Khan eine Kette aus Menschenzähnen, die er der bewußtlosen Frau um den Hals legte. »Von jetzt an«, sagte er, »darf niemand ein Wort sagen.« Er legte ihr seine Hand auf den Kopf und begann zu singen.
Den beiden zusehenden Männern schien es, als ob die Temperatur im Zimmer sinke, und ein kalter Wind begann durchs Fenster zu wehen.
Der Gesang ging weiter, schwoll an, senkte sich. Talisman kannte die Sprache nicht – falls es überhaupt eine Sprache war –, aber die Wirkung im Zimmer war verblüffend. Eis begann sich auf den Fensterrahmen und Wänden zu bilden, und Gorkai zitterte unwillkürlich. Nosta Khan zeigte keine Anzeichen von Unbehagen. Er schwieg, dann nahm er seine Hand von Zhusais Stirn, »Öffne die Augen«, befahl er, »und sag mir deinen Namen.«
Die dunklen Augen öffneten sich. »Ich bin …« Ein Lächeln erschien. »Ich bin die, die glücklicher war als alle Frauen.«
»Du bist der Geist von Shul-sen, Gemahlin von Oshikai Dämonstod?«
»Das bin ich.«
»Du bist tot, Weib. Hier gibt es keinen Platz mehr für dich.«
»Ich fühle mich nicht tot, Schamane. Ich fühle mein Herz schlagen, und ich spüre die Stricke um meine Handgelenke.«
»Die äußere Hülle hast du gestohlen. Deine Knochen liegen in einer Kammer aus Vulkangestein. Oder erinnerst du dich nicht mehr an die Nacht deines Todes?«
»Oh, doch, ich erinnere mich«, sagte sie. Ihre Lippen wurden schmal, ihre Augen glitzerten. »Ich erinnere mich an Chakata und seine goldenen Nägel. Damals war er menschlich. Ich fühle noch den Schmerz, wie er sie langsam hineintrieb, tief genug, um mich zu blenden, doch nicht zu töten. Ich erinnere mich. O ja, ich erinnere mich. Aber jetzt bin ich zurück. Binde meine Hände los, Schamane.«
»Das werde ich nicht«, sagte Nosta Khan. »Du bist tot, Shul-sen – so wie dein Gatte tot ist. Deine Zeit ist vorüber.«
Daraufhin lachte sie, daß es im ganzen Raum widerhallte. Talisman spürte, wie die schreckliche Kälte sich in sein Mark fraß. Gorkai neben ihm konnte sich kaum noch aufrecht halten und zitterte erbärmlich. Das Gelächter erstarb. »Ich bin eine Hexe mit großer Macht. Oshikai wußte das, und er benutzte mich gut. Ich weiß aus den Erinnerungen des Mädchens, daß eine Armee anrückt, Schamane. Ich kann dir helfen. Laß mich frei!«
»Wie kannst du uns helfen?«
»Laß mich frei, und du wirst es erfahren.«
Talismans Hand tastete sich zu seiner Messerscheide vor, aber sie war leer. Er streckte die Hand aus und zog Gorkais Messer. Die Frau sah ihn mit ihren dunklen Augen an. »Er will dich umbringen«, sagte sie zu Nosta Khan.
»Kein Wort – keiner von euch!« warnte der Schamane. Er wandte sich wieder an die Frau und begann zu singen. Sie zuckte zusammen, dann zog sie die Lippen zu einem tierischen Knurren zurück. Sie sprach ein Wort der Macht. Nosta Khan wurde vom Bett geschleudert und krachte unter dem Fenster gegen die Wand. Er rollte sich auf die Knie, aber wieder sagte sie etwas. Er wurde zurückgeworfen, schlug mit dem Kopf gegen die Fensterbank und sank bewußtlos zu Boden.
Die Frau sah Gorkai an. »Binde mich los«, befahl sie. Auf zitternden Beinen taumelte Gorkai vorwärts.
»Bleib, wo du bist!« befahl Talisman. Gorkai stieß einen Schmerzensschrei aus, zwang sich aber stehenzubleiben. Er sank auf die Knie, stöhnte und fiel mit dem Gesicht voran auf die Dielen.
»So«, sagte sie und schaute Talisman an, »du bist also ein mächtiger Mann. Dein Diener gehorcht dir, trotz der Schmerzen, die er
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