Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
spürt. Aber schön, dann wirst eben du mich losbinden.«
»Hast du Oshikai nicht geliebt?« fragte er plötzlich.
»Was? Du stellst meine Treue in Frage, du unwissender Bauer?«
»Es war eine aufrichtige Frage.«
»Dann werde ich sie dir beantworten. Ja, ich liebte ihn. Ich liebte seinen Atem auf meiner Haut, sein Lachen, den Glanz seiner Wutanfälle. Und jetzt mach mich los!«
»Er sucht noch immer nach dir«, erzählte Talisman.
»Er starb vor tausend Jahren«, sagte sie. »Sein Geist ist im Paradies.«
»Nein, meine Dame. Ich sprach mit ihm, als ich hier ankam. Ich rief seinen Geist. Die erste Frage, die er mir stellte, lautete: ›Hast du Neuigkeiten von Shul-sen?‹ Ich sagte ihm, daß es viele Legenden gäbe, aber daß ich nicht wüßte, was mit dir geschehen sei. Er sagte: ›Ich habe in den Tälern der Geister, den Tälern der Verdämmten, den Feldern der Helden und den Hallen der Mächtigen gesucht. Ich bin endlos durch die Leere gereist. Ich kann sie nicht finden.‹ Und was das Paradies angeht, sagte er: ›Was könnte es für ein Paradies sein ohne Shul-sen? Den Tod konnte ich ertragen, aber nicht diese Trennung der Seelen. Ich werde sie finden, und wenn es in alle Ewigkeit dauert.‹«
Sie schwieg einen Augenblick, und der wilde Glanz verschwand aus ihren Augen. »Ich weiß, daß du die Wahrheit sprichst«, sagte sie, »denn ich kann in den Herzen der Menschen lesen. Aber Oshikai wird mich niemals finden. Chakata verbannte meinen Geist an den Dunklen Ort, wo er von Dämonen bewacht wird, die einst Menschen waren. Chakata ist dort, aber kein Mensch würde ihn jetzt wiedererkennen, er quält und foltert mich, wann immer er will. Oder wenigstens tat er es, ehe ich entkam. Ich kann nicht zu Oshikai gehen, Talisman. Wenn ich hier stürbe, würde ich zurück an den Dunklen Ort gezogen.«
»Ist das der Ort, an den du Zhusai geschickt hast?« fragte er.
»Ja. Aber was ist ihr Leben verglichen mit meinem? Ich war eine Königin. Ich werde es wieder sein.«
»Dann läßt du Oshikai in alle Ewigkeit suchen und seine Seele in den Schrecken der Leere riskieren?«
»Ich kann dort nichts tun!« rief sie. Am Fenster regte sich Nosta Khan, blieb aber still. Gorkai lag ebenfalls sehr still, er atmete kaum.
»Wo ist dieser Dunkle Ort?« fragte Talisman. »Warum kann Oshikai ihn nicht finden?«
»Er ist nicht Teil der Leere«, sagte sie tonlos. »Verstehst du das Wesen der Unterwelt? Die Leere liegt zwischen zwei Ebenen. Ganz einfach ausgedrückt, ist sie der Bereich zwischen Paradies und Giragast, Himmel und Hölle. Die Leere ist das Land dazwischen, durch das die Seelen auf der Suche nach der letzten Ruhe wandern. Chakata hat mich im dunklen Zentrum von Giragast gefangen, dem dunklen Schlund inmitten der Feuerseen. Keine menschliche Seele würde freiwillig dorthin gehen, und Oshikai wüßte keinen Grund, weshalb ich dort sein sollte. Er traute Chakata. Er hätte sich niemals vorstellen können, wie tief die Lust des Mannes reichte oder wie groß sein Verrat war. Aber wenn er es wüßte, würde er einen zweiten Tod sterben, den immerwährenden Tod. Es gibt keine Möglichkeit daß ein einzelner Krieger – nicht einmal ein so mächtiger wie mein Gebieter – die von Dämonen geplagten Durchgänge passieren könnte. Oder das Wesen besiegen, zu dem Chakata geworden ist.«
»Ich werde mit ihm gehen«, versprach Talisman.
»Du? Was bist du denn? Nur ein Kind im Körper eines Mannes. Wie alt bist du, Kind? Siebzehn? Zwanzig?«
»Ich bin neunzehn. Und ich werde mit Oshikai durch die Leere gehen, zu den Toren von Giragast.«
»Nein, genug jetzt. Ich sehe, daß du tapfer bist, Talisman. Und du hast eine rasche Auffassungsgabe und bist intelligent. Aber diese Tore zu durchschreiten verlangt mehr. Du bittest mich, meine Seele in ewiger Dunkelheit und Qual zu riskieren und die Seele des Mannes, den ich liebe. Die mystische Zahl ist Drei. Hast du einen Krieger hier, der es mit Oshikai aufnehmen könnte? Gibt es einen, der mit dir in die Leere gehen würde?«
»Ich werde es tun«, sagte Gorkai und erhob sich.
Ihre Augen fixierten ihn und hielten Gorkais Blick fest. »Noch ein tapferer Mann. Aber nicht gut genug.«
Talisman ging zum Fenster und lehnte sich hinaus. Unten wusch sich Druss am Brunnen. Der Nadirführer rief ihn an und winkte ihn heran. Druss warf sich das Wams über die Schulter und machte sich auf den Weg. Als er eintrat, musterten seine hellen Augen das Zimmer. Gorkai lag immer noch auf den Knien, und
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