Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
Boden.
Oshikai kletterte zu dem Spalt im Gestein hinauf und hieb mit seiner Axt dagegen. Der Spalt verbreiterte sich auf etwa einen halben Meter, Steine regneten auf den König herab. Ein dicker Felsbrocken verkantete sich in dem Spalt, und Oshikai streckte sich und drückte dagegen. Der Stein löste sich. Er kletterte durch die Öffnung, drehte sich um und streckte die Hände nach Shul-sen aus. Der moosige Untergrund unter ihm bebte. Oshikai wurde nach links geworfen und verlor beinahe seine Axt. Was er für Moos gehalten hatte, bebte und hob ihn hoch, so daß er durch die Luft geschleudert wurde. Der gesamte Berghang schien zu erschauern, als zwei ungeheure Flügel sich entfalteten. Die Bergspitze hob sich und wurde zum Schädel einer Riesenfledermaus. Oshikai klammerte sich an den Flügel, als die gewaltige Kreatur sich in die Lüfte erhob. Höher und höher flog sie, über die Brücke und den bodenlosen Abgrund hinaus. Oshikai grub seine Finger tief in das Fell und hielt sich mit aller Kraft fest. Der Kopf der Fledermaus bog sich zurück, und das gewaltige Maul öffnete sich. In der Dunkelheit dieses Mauls schimmerte ein Gesicht, das er erkannte.
»Wie gefällt dir meine neue Gestalt, Großkönig?« höhnte Chakata. »Ist sie nicht großartig?«
Oshikai antwortete nicht, sondern begann, zum Hals des Wesens zu klettern. »Soll ich dir sagen, wie oft ich Shul-sen genossen habe? Soll ich dir die Freuden beschreiben, zu denen ich sie gezwungen habe?« Der König kam näher. Das Gesicht Chakatas lächelte. Plötzlich setzte die Fledermaus zum Sturzflug an, und Oshikai drohte abzustürzen – dann holte er mit seiner Axt aus und grub sie tief in den schwarzen Flügel. Langsam zog er sich immer näher an den Hals, zog die Axt frei und hämmerte sie wieder durch das Fell. So kam er seinem Feind zentimeterweise näher.
»Sei kein Narr, Oshikai!« rief Chakata. »Wenn du mich tötest, stürzt du mit mir ab. Du wirst Shul-sen nie wiedersehen!«
Langsam, unaufhaltsam, kroch der König weiter. Die Fledermaus ließ sich nach hinten fallen, rollte sich herum und schlug mit den Flügeln, um die winzige Gestalt abzuschütteln. Doch Oshikai klammerte sich fest. Näher und näher kam er dem Kopf. Die Kiefer der Fledermaus schnappten nach ihm, doch er wich ihnen aus. Er zog seine Axt und hieb sie mit aller Macht in den Hals des Unwesens. Schwarzes Blut schoß aus der Wunde. Noch zweimal schlug er zu. Plötzlich klappten die Flügel der Fledermaus zusammen, und sie begann hinabzustürzen zu der weit unten liegenden Brücke. Oshikai hämmerte seine Klinge immer wieder in den halb durchgetrennten Hals, durch Knochen und Sehnen. Der Kopf fiel ab, und das tote Untier stürzte in Spiralen auf den Abgrund zu.
Fest entschlossen, nicht Seite an Seite mit einem solchen Ungetüm zu sterben, sprang Oshikai von dem toten Wesen.
Weit unten war die nackte Shul-sen aus dem Tunnel geklettert und beobachtete nun den heldenhaften Kampf am grauen Himmel. Frei von dem Bann, den Chakata gewoben hatte, spürte sie, wie ihre Macht zurückkehrte. Augenblicklich kleidete sie sich in Hemd und Beinkleider aus silberner Seide und einen wolkenweißen Umhang. Sie nahm den Umhang von den Schultern und sprach die Fünf Worte des Elften Zaubers. Dann schleuderte sie den Umhang hoch in die Luft. Er flog weiter, drehte sich, ein Rad aus weißem Tuch, das vor dem rauchgrauen Himmel glänzte.
Shul-sen stand mit ausgestreckter Hand und dirigierte den Umhang mit aller Macht, die sie aufbringen konnte. Das tote Wesen, das einst Chakata gewesen war, stürzte in den Abgrund. Oshikai fiel weiter, doch der Umhang flog zu ihm hinauf und hüllte ihn ein. Nur für einen Augenblick verlangsamte sich sein Fall, doch dann stürzte er mitsamt dem Umhang weiter in die Tiefe. Shulsen schrie auf, der Umhang entfaltete sich, und Oshikais rascher Sturz verlangsamte sich. Der Umhang schwebte zur Brücke nieder, und Oshikai sprang herunter. Shul-sen rannte mit ausgestreckten Armen den Berg hinunter auf Oshikai zu. Er ließ die Axt fallen und lief ihr entgegen, dann schloß er sie in die Arme. Für einen langen Moment hielt er sie so, dann schob er sie von sich, und sie sah die Tränen auf seinen Wangen.
»Ich habe dich so lange gesucht«, sagte er. »Ich fing schon an zu glauben, daß ich dich niemals finden würde.«
»Aber du hast mich gefunden, Gebieter«, flüsterte sie und küßte seine Lippen und die tränenüberströmten Wangen.
Lange Zeit standen sie zusammen und hielten
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