Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
Druss beobachtete sie scharf. Nur zwei der Gruppen hatten Leiterträger dabei. »Die dritte Gruppe wird sich das Tor vornehmen«, sagte er, zu niemandem im Besonderen.
Hinter der Infanterie warteten mehr als fünfhundert Lanzenreiter zu Fuß in zwei Reihen. Sie hatten ihre Lanzen abgelegt und stattdessen ihre Säbel in den Händen. Zu langsamen Trommelschlägen setzte sich die Armee in Bewegung. Druss spürte die Angst der Männer um ihn herum.
»Denkt nicht an ihre Zahl«, sagte Druss. »Das einzige, was zählt, ist die Anzahl der Leitern – und sie haben nicht einmal dreißig. Nur dreißig Mann können jeweils die Mauer erreichen, der Rest wimmelt nutzlos unten herum. Laßt euch nie von schierer Anzahl entmutigen.«
»Weißt du eigentlich, was Angst ist, Axtkämpfer?« fragte Nuang Xuan.
Druss drehte sich um und grinste ihn an. »Was machst du hier, Alter? Du bist verwundet.«
»Ich bin so zäh wie ein Wolf und so stark wie ein Bär. Wie nah bin ich meinen hundert gekommen?«
»Nach meiner Rechnung brauchst du noch neunzig.«
»Pah, du hast dich offenbar verzählt.«
»Bleib in meiner Nähe, Nuang«, sagte Druss leise. »Aber nicht zu nah.«
»Ich werde hier sein, wenn der Tag zu Ende geht und ein Berg von toten Gothir hinter mir liegt«, versprach Nuang.
Bogenschützen rannten durch die feindlichen Linien und schickten einen Regen von Pfeilen auf die Verteidiger, die sich hinter die Brüstung duckten. Niemand wurde getroffen. Der Trommelschlag wurde schneller, und Druss konnte hören, wie die Männer losrannten. Leitern krachten gegen die Mauer, und zu Druss' Linker
wollte ein Mann aufstehen, doch Druss zog ihn wieder herunter. »Noch nicht, Freund. Die Bogenschützen warten nur darauf.«
Der Krieger blinzelte nervös. Druss blieb noch zehn Herzschläge lang knien, dann richtete er sich auf. Seine große Axt schimmerte in der Sonne. Als er stand, erreichte ein Gothir die Spitze der Leiter, und Snaga zerschmetterte ihm den Schädel.
»Klettert und sterbt!« brüllte Druss und hieb Snaga mit einer Rückhand in das bärtige Gesicht eines zweiten Kriegers.
Überall hackten und hieben die Nadir auf die Angreifer ein. Zwei Gothir erreichten den Wehrgang und wurden augenblicklich niedergestreckt. Ein Nadir fiel, ein Pfeil ragte aus seiner Schläfe.
Auf der Mauer über dem Tor beobachtete Talisman, wie Druss und die Himmelsreiter kämpften, um den westlichen Wehrgang zu halten. Der zweite Stoßtrupp der Gothir war zur Nordmauer vorgedrungen, wo Bartsai mit seinen Krummhörnern sie aufzuhalten versuchte.
Äxte wurden in das Tor getrieben, so daß das alte Holz splitterte. Nadir warfen Steine auf die feindlichen Soldaten unter ihnen, doch das Bersten von Holz war weiterhin zu hören.
»Haltet euch bereit!« warnte Talisman die Männer der Flinken Ponys. Sie legten Pfeile auf die Sehnen und knieten sich auf den Wehrgang und die neugebaute, geschwungene Mauer hinter dem Tor. In diesem Augenblick wurde Talisman von einem wilden Stolz ergriffen. Diese Männer waren Nadir, sein Volk! Und sie kämpften zusammen gegen einen gemeinsamen Feind. So sollte es sein, dachte der junge Mann. Kein sklavengleicher Gehorsam gegenüber den verfluchten
gajin.
Keine Flucht mehr vor der Bedrohung durch ihre Lanzenreiter, ihre Strafexpeditionen, ihr Gemetzel.
Plötzlich brach das Tor, und eine Schar von Männern stürmte hindurch, nur um sich einer drei Meter hohen Mauer gegenüberzusehen.
»Jetzt! Jetzt! Jetzt!« schrie Talisman. Pfeile flogen in die dichtgedrängte Masse unter ihnen. Sie waren so dicht beisammen und wurden von den Nachrückenden weitergeschoben, daß nur wenige ihre Schilde heben konnten. Sie wurden von Pfeilen durchbohrt und von Steinen getroffen. Als Talisman sich abmühte, um einen zerklüfteten Felsbrocken hochzuheben, sprangen zwei Männer herbei und halfen ihm. Sie rollten den Stein über die Brüstung in die Todesfalle hinunter. In Panik versuchten die Gothir, den Rückzug anzutreten und trampelten dabei ihre eigenen Verwundeten nieder.
Mit grimmiger Befriedigung blickte Talisman auf die etwa dreißig Toten hinunter. Ein Pfeil schoß an seinem Gesicht vorbei, und er duckte sich. Die feindlichen Bogenschützen hatten sich jetzt um das geborstene Tor geschart und schossen zu den Verteidigern hinauf. Zwei Nadirkrieger wurden in der Brust getroffen.
»Unten bleiben!« schrie Talisman. Als plötzlich Leitern gegen die Mauer hinter ihm krachten, fluchte er. Wenn Bogenschützen sie von hinten angriffen
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