Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
hell schien, erreichte sein Licht nicht den Grund. »Laßt mich auf den Sims hinunter«, bat er und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. »Aber laßt nicht los, wenn ich unten bin. Das Gestein zerbröselt wie Salzkristalle, und ich weiß nicht, ob der Sims mich trägt.« Er schlang ein Seil um die Taille und wartete, bis Druss es sich über seine massiven Schultern gelegt hatte, dann schwang er sich über den Rand. Langsam ließ Druss das Seil nach, bis Siebens Füße den Sims erreichten, der fest und stabil war.
Jetzt stand er vor dem Eingang. Er war ohne Zweifel von Menschen angelegt worden. Seltsame Symbole waren in den Stein geritzt, Wirbel und Sterne um etwas herum, das aussah wie ein zerbrochenes Schwert. Direkt hinter dem Eingang war eine Reihe von Eisenstäben in den schwarzen Fels gemauert worden, die jetzt rot vom Rost waren. Sieben packte einen und zog, so fest er konnte, aber er gab nicht nach.
»Was ist los?« rief Druss.
»Komm runter und schau selbst. Ich binde das Seil los.«
Wenige Augenblicke später stand Druss mit einer angezündeten Fackel neben ihm. »Geh einen Schritt zurück«, sagte der Axtkämpfer, reichte Sieben die Fackel und nahm sein Seil ab. Druss packte den ersten Eisenstab mit beiden Händen und zerrte daran. Mit einem knirschenden Stöhnen bog er sich in der Mitte, dann riß er aus dem Gestein. Druss warf ihn über seine Schulter, und Sieben hörte ihn im Fallen gegen die Wände des Turms klirren. Druss löste noch zwei weitere Stäbe auf dieselbe Art. »Nach dir, Dichter«, sagte Druss.
Sieben schob sich durch die Lücke zwischen den Stäben und hielt die Fackel hoch. Er fand sich in einer kleinen, runden Kammer. Als er sich umdrehte, sah er zwei Ketten von der Decke hängen. Druss tauchte neben ihm auf und ging zu den Ketten. An einer der Ketten hing etwas. »Bring die Fackel näher«, befahl der Axtkämpfer.
Die Kette hielt einen vertrockneten Arm, der beim Verwesen aus der Schulter gerissen war. Sieben senkte die Fackel und blickte auf den seit langem toten, fast mumifizierten Körper hinab. Das flackernde Licht der Fackel beleuchtete ein langes Kleid aus verrotteter weißer Seide, das in dieser düsteren Umgebung noch immer seltsam schön wirkte.
»Es war eine Frau«, sagte Druss. »Irgend jemand hat sie hier lebendig begraben.«
Sieben kniete neben der Toten nieder. Ein Funkeln kam aus den Augenhöhlen, und er ließ fast die Fackel fallen. Druss betrachtete sie genauer. »Die Hurensöhne haben ihr mit goldenen Nägeln die Augen ausgestochen«, sagte er. Er berührte den Kopf der Toten und drehte ihn um. Auch in den Ohrmuscheln glitzerte Gold. Sieben wünschte, Niobe hätte den Sims niemals gesehen. Sein Herz sank vor Kummer über diese längst verstorbene Frau und ihr entsetzliches Leiden.
»Laß uns hier verschwinden«, sagte er leise.
Oben erzählten sie Nuang, was sie gesehen hatten. Der alte Anführer hörte schweigend zu, bis sie geendet hatten. »Sie muß eine große Zauberin gewesen sein«, meinte er. »Die Wirbel und die Sterne am Eingang zeigen, daß sie mit Zaubersprüchen ihren Geist an diesen Ort gekettet haben. Und die Nägel verhinderten, daß sie in der Geisterwelt etwas sehen oder hören konnte. Wahrscheinlich haben sie ihr auch die Zunge durchbohrt.«
Sieben stand auf und band sich sein Seil wieder um. »Was hast du vor?« fragte Druss.
»Ich gehe noch mal zurück, altes Roß.«
»Warum?« wollte Nuang wissen. Sieben antwortete nicht, sondern schwang sich wieder über den Rand.
Druss grinste ihn an, als er das Seil aufnahm. »Immer ein Romantiker, was, Dichter?«
»Gib mir einfach die Fackel.«
Als Sieben wieder in der Kammer war, kniete er bei der Toten nieder und zwang sich, seine Finger tief in die trockenen Augenhöhlen zu stecken, um die Goldnägel herauszuziehen. Sie glitten leicht heraus, ebenso wie der längere Nagel im rechten Ohr. Der Nagel im linken Ohr steckte tief, und Sieben mußte ihn mit dem Messer lockern. Als er den Mund der Toten öffnete, fiel der Kiefer ab. Er nahm sich zusammen und holte den letzten goldenen Nagel heraus. »Ich weiß nicht«, sagte er leise, »ob dein Geist jetzt frei ist, meine Dame. Aber ich hoffe es.« Als er gerade aufstehen wollte, sah er etwas in den verrotteten Falten ihres Kleides glitzern. Er hob es auf, es war ein rundes Medaillon, eingefaßt in dunkles Gold. Er hielt es ans Licht und sah, daß die Mitte aus mattem Silber bestand, geschmückt mit einem erhabenen
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