Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
Relief, bei dem er hier unten das Motiv nicht erkennen konnte. Er steckte es in die Tasche, ging hinaus auf den Sims und rief Druss zu, er solle ihn hochziehen.
Zurück im Lager, polierte Sieben im Mondschein das Medaillon, bis es wieder glänzte. Druss gesellte sich zu ihm. »Wie ich sehe, hast du einen Schatz gefunden«. sagte der Axtkämpfer, und Sieben reichte ihm das Schmuckstück. Auf einer Seite trug es das Profil eines Mannes, auf der anderen das einer Frau. Rings um den Kopf der Frau standen Worte in einer Sprache, die Sieben nicht kannte.
Druss betrachtete es. »Vielleicht war es eine Münze – König und Königin«, meinte er. »Glaubst du, daß die Tote die Frau war?«
Sieben zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Druss. Aber wer sie auch immer war, der Mord an ihr wurde mit scheußlichster Grausamkeit durchgeführt. Kannst du dir vorstellen, wie das gewesen sein muß? An jenen seelenlosen Ort geschleppt zu werden, und dann sticht man dir die Augen aus? Läßt dich blutend da hängen, während der Tod quälend langsam kommt?«
Druss gab ihm das Medaillon zurück »Vielleicht war sie eine furchtbare Hexe, die kleine Kinder fraß. Vielleicht hatte sie die Strafe verdient.«
»Verdient? Es gibt kein Verbrechen, Druss, für das eine solche Strafe verdient wäre. Wenn jemand böse ist, tötet man ihn. Aber schau, was sie ihr angetan haben. Wer dafür auch verantwortlich war, es hat ihm Vergnügen gemacht. Es war so sorgfältig geplant, so penibel ausgeführt.«
»Nun, du hast getan, was du konntest, Dichter.«
»Wenig genug, oder? Glaubst du, ich habe ihren Geist befreit, daß er sehen, reden, hören kann?«
»Es wäre schön, das zu glauben.«
Niobe kam zu ihnen und setzte sich neben Sieben. »Du hast eine große Anspannung in dir, Dichter. Du mußt Liebe machen.«
Sieben grinste. »Ich glaube, da hast du völlig recht«, sagte er, stand auf und nahm sie bei der Hand.
Später, als Niobe neben ihm schlief, saß Sieben im Mondschein und dachte an die Frau in dem Grab. Wer war sie, und für welches Verbrechen hatte man sie wohl hingerichtet? überlegte er. Sie war eine Zauberin gewesen, daran bestand kein Zweifel. Ihre Mörder hatten große Mühen – und noch größere Kosten – auf sich genommen, um sie zu vernichten.
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Niobe regte sich neben ihm. »Kannst du nicht schlafen, Dichter?«
»Ich dachte an die tote Frau.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Es war eine grausame Art zu sterben, geblendet, angekettet und allein in einer vulkanischen Höhle. Brutal und böse. Und warum haben sie sie hierher gebracht, an diesen verlassenen Ort? Warum den Leichnam versteckt?«
Niobe setzte sich auf. »Wo geht die Sonne schlafen?« fragte sie. »Woher kommt der Wind? Warum stellst du dir Fragen, die du nicht beantworten kannst?«
Sieben lächelte und küßte sie. »Das ist die Art und Weise, auf die man Wissen erlangt«, antwortete er. »Durch Menschen, die Fragen stellen, auf die es keine unmittelbaren Antworten gibt. Die Sonne geht nicht schlafen, Niobe. Sie ist ein großer Feuerball am Himmel, und unser Planet ist ein kleinerer Ball, der sich um sie dreht.« Sie sah ihn skeptisch an, sagte aber nichts. »Was ich versuche zu erklären, ist, daß es immer Antworten gibt, selbst wenn wir sie nicht gleich sehen können. Die Frau in dieser Höhle war reich, wahrscheinlich von hoher Geburt, eine Prinzessin oder eine Königin. Das Medaillon, das ich gefunden habe, zeigt zwei Köpfe, einen Mann und eine Frau. Beide tragen die Züge von Nadir oder Chiatze.«
»Zeig mal.«
Sieben nahm das Medaillon aus seiner Tasche und ließ es in ihre Hand fallen. Der Mond schien hell, und Niobe betrachtete die beiden Köpfe. »Sie war sehr schön. Aber sie war keine Nadir.«
»Warum sagst du das?«
»Die Schrift auf dem
lon-tsia.
Es ist Chiatze, ich habe die Zeichen schon gesehen.«
»Kannst du sie lesen?«
»Nein.« Sie gab es ihm zurück.
»Wie hast du es genannt? Ein
lon-tsia
?«
»Ja. Es ist eine Liebesgabe. Sehr kostbar. Für die Hochzeit wurden wohl zwei angefertigt. Der Mann ist ihr Gemahl, und sie hat ihr
lon-tsia
so getragen, daß der Kopf des Mannes nach innen zeigt, zu ihrem Herzen. Er hat sein Exemplar anders herum getragen, so daß ihr Kopf auf seinem Herzen liegt. Ein alter Chiatze-Brauch – aber nur für die Reichen.«
»Dann möchte ich gern wissen, was aus ihrem Gemahl geworden ist.«
Niobe lehnte sich an ihn. »Keine Fragen mehr, Dichter«, flüsterte sie. »Ich werde jetzt schlafen.« Sieben
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