Die dritte Ebene
Buschwerk sehr dicht. Dürre Laubbäume wechselten sich mit Dornengestrüpp ab. Der Rio Salado zerschnitt das kleine und staubige Tal in zwei Hälften. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses lag die alte Begräbnisstätte der Navajo, über die Jack seit Jahren mit Argusaugen wachte. Den Touristen erzählte er alle möglichen Geschichten über den Totenkult der Indianer. Aber ob sich hier jemals ein Friedhof befunden hatte oder aber die Kultstätte nicht viel mehr eines von Jacks Hirngespinsten war, stand in den Sternen. So wie die Ufos in jener Nacht, als Dwain ihn im Straßengraben unweit von Magdalena betrunken in seinem Pick-up gefunden hatte.
Der Pick-up? Verdammt, wo hatte Jack den Wagen abgestellt? Hier in dieser Einöde jedenfalls nicht. Kein Fahrweg führte bis zur Hütte.
»Habt ihr Jacks Wagen gefunden?«, rief Dwain Tom Winterstein zu.
»Jacks Wagen steht einen knappen Kilometer westlich von hier, am Ende des Trampelpfads«, erwiderte Tom. »Sarah und John sind dort und schauen sich um.«
»Ich habe hier etwas gefunden!«, rief Carlos Ramirez. Er deutete auf den Boden. Die Stelle war nur wenige Meter vom Steg entfernt. Dwain und Tom gingen hinüber. Vorsichtig bewegten sie sich durch das Gras, denn das Gelände war noch nicht abgesucht worden. Ein länglicher, glitzernder Gegenstand lag auf dem Boden. Ein Kugelschreiber.
Dwain nahm dem Deputy das Vergrößerungsglas aus der Hand und beugte sich hinab. »Ein Kugelschreiber der Marke Parker«, murmelte er nachdenklich. »Das Ding sieht wertvoll aus.«
»Vermutlich gehörte er Jack«, meinte Carlos. »Er hat ihn vielleicht von einem Touristen gegen seine Schnitzereien eingetauscht.«
Dwain erhob sich. »Das glaube ich nicht. Der alte Jack konnte nicht schreiben. Im Gegenteil, er hat sich aus Prinzip dagegen gesträubt, es zu erlernen.«
Tom holte eine Tüte aus seiner Umhängetasche. »Dann werden wir ihn eintüten, nachdem ihn Lena fotografiert hat.«
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es gar kein Unglück war«, sagte Dwain nachdenklich. »Ich möchte, dass ihr hier jeden Stein umdreht. Und holt Jacobsen mit seinen Spürhunden. Hier stimmt etwas nicht.«
»Du glaubst, es war Mord?«
Dwain zeigte auf den Kugelschreiber. »Ich weiß es noch nicht, aber es ist doch merkwürdig, oder?«
Kennedy Space Center Hospital, Florida
Suzannah stand der schwierigste Part der Therapie bevor. Es musste ihr gelingen, Ziegler in tiefe Trance zu versetzen. Die Somnambulanz war nicht ganz ungefährlich. Der Hypnotisierte verlor jegliche Kritikfähigkeit gegenüber den Suggestionen seines Hypnotiseurs. Kurzum, Ziegler begab sich mit allen Sinnen in Suzannahs Hände. Partielle bis vollständige Amnesie sowie Halluzinationen waren die Folge. Nur so würde es gelingen, Zieglers traumatische Gedanken zu löschen, um sie durch positive Wahrnehmungen zu ersetzen. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Zuerst musste sich Ziegler an die Anwesenheit von Suzannah gewöhnen. Er musste lernen, dass von ihr keine Gefahr ausging, dass er ihr und vor allem dem Klang ihrer Stimme vertrauen konnte.
Zieglers Zustand war vergleichbar mit dem eines verängstigten Tiers. Suzannah hatte mehr als einmal an das Gorillamännchen im Chicagoer Zoo denken müssen, als sie vor der Glasscheibe im Krankenhaus stand und in das Zimmer des Astronauten blickte. Vielleicht war der Vergleich gar nicht einmal an den Haaren herbeigezogen, denn die Reaktionen des Mannes waren genauso unberechenbar wie die eines in die Enge getriebenen Gorillas.
»Ich weiß nicht, ob er schon so weit ist«, sagte Brian mit sorgenvoller Miene, als sie gemeinsam vor der Tür zu Zieglers Zimmer standen. »Ich bleibe hier draußen, aber sobald etwas passiert …«
»Was sollte denn passieren?«, fiel ihm Suzannah ins Wort. »Er ist mit Lederriemen fixiert. Es kann nichts passieren.«
»Ich meine ja nur …«
»Brian«, antwortete sie. »Wir sind hier, um ihm zu helfen. Er ist nicht gefährlich, er ist keine reißende Bestie, die auf ein Opfer wartet. Dort drinnen liegt ein zutiefst verängstigter Mensch, der aus irgendeinem unbekannten Grund in seinem Unbewussten Entsetzliches durchmacht. Erlebnisse, die ihn in Todesangst versetzen.«
»Und genau deshalb müssen wir uns sicher sein, dass wir kein Ungeheuer in ihm erwecken. Ich habe einfach ein ungutes Gefühl bei der Sache. Es ist eine Gratwanderung, das weißt du genau. Wenn er nur einen kleinen Schritt in die falsche Richtung macht, einen winzigen Tritt,
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