Die dritte Ebene
Inneren des Hotels war es angenehm kühl. Überhaupt entsprachen das Interieur und die Ausstattung des Hauses keineswegs dem ersten Eindruck, den man von dem Gebäude gewinnen konnte, wenn man davorstand.
»Gott sei Dank«, murmelte Gina, als sie auf die Rezeption zugingen. »Ich dachte schon, das ist irgend so ein Stundenhotel.«
»Hauptsache billig, das sähe Porky ähnlich.« Leon setzte endlich seine übergroße und unpassende Schildmütze ab, ohne die er nie das Haus verließ. Seine tiefschwarzen und mit reichlich Gel behandelten Haare lagen wie ein Helm um seinen Kopf. Das übergroße Pentagramm, das er sich auf den Oberarm hatte tätowieren lassen, und die Piercings in beiden Ohren und Nase ließen ihn wie einen Zuhälter aus Little Italy erscheinen.
»Wenn wir nachher der Kirche einen Besuch abstatten, schlage ich vor, dass du dir etwas Langärmeliges anziehst«, sagte Brian. »Außerdem ist dein Gesichtsschmuck auch nicht gerade förderlich, um mit Pater Francesco ins Gespräch zu kommen. Ich denke, es ist besser, wenn du dich erst einmal im Hintergrund hältst.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so spießig sein kannst«, konterte Leon angesäuert.
»Das hat nichts mit spießig zu tun. Ich will nur verhindern, dass wir gleich einen schlechten Eindruck hinterlassen. Wir sind nun einmal in Europa und noch dazu in einer Stadt, die auf über tausend Jahre katholischer Tradition zurückblickt. Hier sind die Menschen anders als in New York.«
»Okay, okay. Ich bleibe im Hintergrund und kümmere mich um die Analyse. Um die kalte Wissenschaft sozusagen. Für die Showeinlagen seid ihr zuständig. Ich spreche sowieso kein Italienisch.«
9
Camp Springs, Maryland
Wayne Chang war noch am Abend, nachdem er Jennifer Oldham zum Flugplatz begleitet hatte, in das Weather House nach Camp Springs zurückgekehrt. Er wollte unbedingt wissen, was es mit dem vermissten Flugzeug der NOAA in der Karibik auf sich hatte. Mit dem Aufzug fuhr er in den sechsten Stock. In den Gängen schlug ihm hektische Betriebsamkeit aus den Büros entgegen. Er stürmte in die Überwachungszentrale, die einem Kontrollzentrum der NASA ähnelte. Unzählige Konsolen mit Computerbildschirmen darauf und dahinter jeweils ein Mitarbeiter, der mit großen Augen auf seinen Monitor starrte. Schneider saß vor einer Großbildleinwand, auf der ein riesiger Wolkenwirbel abgebildet war. Die Umrisse der Baja California waren zu erkennen. Er blickte erstaunt auf, als Wayne sich neben ihn stellte.
»Ich dachte, du kommst erst morgen«, sagte er.
»Ich habe gehört, dass ein neuer Hurrikan im Anmarsch ist. Außerdem soll ein Flugzeug vermisst werden. Was geht da draußen vor?«
Schneider schaltete auf eine Übersichtskarte. »Ein Sturm, sagst du? Da sind zwei ausgewachsene Wirbelstürme vor unserer Küste. Cäsar hat sich in der Karibik in der Nähe der Kaimaninseln eingenistet, und Dave greift uns vom Pazifik aus an. Hinzu kommt noch eine riesige Gewitterfront oberhalb der Baffinbai, die auf die kanadische Küste zutreibt.«
»Was soll das heißen – die Stürme greifen uns an?«
»Wie würdest du das nennen?«, antwortete Schneider. »Der April war zu trocken, der Mai nahezu sommerlich heiß. Die Meeresströmung hat sich umgekehrt, und Hurrikans entstehen außerhalb der Saison. Wann hat es das schon mal gegeben? Das sind doch eindeutige Zeichen. Da oben in der Atmosphäre geht etwas vor, das uns Rätsel aufgibt.«
Wayne schüttelte den Kopf. »Wir sind Wissenschaftler, aber du klingst wie eine hysterische Waschfrau.«
»Seit einem Jahr arbeiten wir daran, unsere Überwachungsraster zu verfeinern, um die Vorhersagen zu verbessern. Wir reißen uns den Arsch auf und schlagen uns die Nächte um die Ohren. Und wofür das alles?«
»Jetzt komm mal wieder runter«, versuchte Wayne seinen Kollegen zu beruhigen. »Wir können nur das Wetter beobachten, steuern können wir es nicht, und das ist auch gut so.«
»Wir verändern das Wetter schon lange«, erwiderte Schneider trocken. »Wir tun es nicht mit Apparaten oder Fernsteuerungen, sondern durch unsere Lebensweise. Durch die Industrie und den Straßenverkehr mit ihren Abgasen, durch die Einleitung von Kühlwasser in unsere Flüsse, Seen oder Ozeane, durch die Abholzung von Regenwäldern. Wir verändern unser Klima, und das Gefährliche daran ist, es scheint niemanden zu interessieren. Wir sägen längst schon an dem Ast, auf dem wir sitzen. Und ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis wir von unserem hohen
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