Die dritte Ebene

Mexiko.
Socorro, New Mexico
    »Allan Mcnish«, murmelte Dwain Hamilton, während er mit der Plastikkarte in seinen Fingern spielte. »Zumindest haben wir seinen Namen. Das ist mehr, als der alte Howard bislang herausgefunden hat.«
    »Und wie willst du ihm das sagen?«, antwortete Deputy Lazard. »Er wird wissen wollen, woher du die Karte hast.«
    »Ich habe Jack mein Wort gegeben. Seine Geschichte ist wahr, ich glaube ihm. Howard kann sich auf den Kopf stellen und mit dem Hintern wackeln. Von mir wird er nichts erfahren.«
    »Er wird dafür sorgen, dass du gefeuert wirst«, gab Lazard zu bedenken. »Wenn ich daran denke, wie er das letzte Mal aus dem Büro gestürmt ist, dann ist mir klar, dass er nichts unversucht lassen wird, dir die Informationen zu entreißen. Und darüber hinaus machst du auch deinen Neffen brotlos.«
    »Ich bin der Sheriff im County«, entgegnete Dwain Hamilton. »Über sechzig Prozent der Wähler haben mich gewählt.«
    »Das ist ihm egal. Er wird dich in Beugehaft nehmen lassen, und du wirst deinen Job verlieren.«
    Dwain warf seinem Deputy die Plastikkarte zu. »Vielleicht muss er das hier überhaupt nicht erfahren. Was glaubst du, woher stammt diese Karte?«
    Lazard griff nach ihr und begutachtete sie forschend. »Es ist kein Magnetstreifen darin enthalten. Es ist einfach nur ein Namensschild. Solche Schilder werden überall verwendet. In Krankenhäusern, in Fabriken, in Büros, selbst in den Imbissläden hat heute jede Spülkraft solch ein Schild an der Brust. Hast du den Namen schon überprüft?«
    »Du weißt, wie ich diese schnurrenden Kisten hasse. Und offiziell kann ich in der Sache nichts unternehmen. Außerdem dachte ich, dass sich mein Deputy darum kümmert …« Dwain lächelte verschmitzt.
    Lazard überlegte. »Dazu müsste ich nach L.A. Unser Computer gibt für eine Personenrecherche zu wenig her. Ich müsste vielleicht sogar in L. A übernachten.«
    »Zwei, maximal drei Tage und zweihundert Dollar Spesen«, antwortete Hamilton.
    Lazard reichte dem Sheriff die Hand. »Abgemacht!«, sagte er, und sein breites Grinsen offenbarte die Zahnlücke in seinem Mund.
    »Ich hoffe, du kannst etwas in Erfahrung bringen«, murmelte Dwain Hamilton.
    Lazard erhob sich. »Ich kann dir nichts versprechen.«
    Dwain nickte. Allan Mcnish war ein Allerweltsname. Bestimmt gab es in den Vereinigten Staaten Hunderte, die diesen Namen trugen. Und was, wenn der Tote überhaupt nicht aus den USA stammte, sondern ein Tourist aus Europa – aus Irland, England oder Schottland – war? Egal, es gab keine andere Möglichkeit. Dass ein Allan Mcnish nicht gesucht wurde oder als vermisst galt, wusste er bereits. Donna hatte das überprüft. Mehr war über den Polizeicomputer im Sheriff-Office allerdings nicht herauszufinden. Der Zugriff auf die Computersysteme der Passämter blieb den großen Polizeidirektionen vorbehalten. Und seinen Widersacher Howard von der State Police in Albuquerque konnte er in dieser Sache wohl kaum um Unterstützung bitten.
Kennedy Space Center, Florida
    Lisa White Eagles Bericht war mit unzähligen Fragezeichen versehen. Die eindringlichen Bilder des beschädigten Shuttles und die dramatischen Gesprächsmitschnitte des Funkverkehrs zwischen der Discovery und der Bodenkontrolle in Houston verstärkten den Eindruck und machten die Rätselhaftigkeit des Geschehens deutlich. In den vergangenen drei Stunden waren die Wissenschaftler mit einer Fülle von Informationen überflutet worden, sodass eine Pause dankbar angenommen wurde.
    »Wir treffen uns in einer halben Stunde wieder in diesem Raum«, hatte Professor Paul gesagt, als er den Vortrag unterbrach. »Schnappen Sie frische Luft. Sie können sich ungehindert im Areal bewegen. Aber verlaufen Sie sich nicht.«
    Suzannah Shane war über den langen Flur hinaus auf den Balkon gegangen. Sie brauchte tatsächlich frische Luft, denn sie hatte schlecht geschlafen. Ihr alter Traum hatte sie wieder heimgesucht, den sie vor etlichen Jahren immer wieder geträumt hatte. Sie stand auf einer weitläufigen Wiese, umgeben von wilden Tieren – Hunden, Wölfen und sogar Löwen. Bedrohlich belauerten die Kreaturen ihr Opfer. Suzannah begann zu laufen. Sie hetzte über die Wiese und versuchte ein nahes Wäldchen zu erreichen. Zuerst hatte sie den Eindruck, dass sie nicht vom Fleck kam, doch dann flog die Umgebung an ihr vorbei. Noch bevor sie das rettende Waldstück erreichte, stürzte sie in eine abgrundtiefe Schwärze, die sie einfach verschluckte.