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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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könnte sich vorstellen«, redete Adamsberg weiter, »daß das Gras am Kopfende des Grabes langsamer wächst und folglich kürzer ist. Es beschreibt eine Art Kreis, und die Frau hier stammt aus der Normandie, genau wie Élisabeth.«
    »Aber wenn wir unsere Tage damit zubringen würden, Friedhöfe zu besichtigen, würden wir wahrscheinlich Unmengen von unterschiedlich langen Grashalmen finden.«
    »Sicher. Aber nichts verbietet uns, nachzuprüfen, ob unter den kurzen Halmen gegraben wurde, nicht wahr?«
    »Entscheidet Ihr, Seigneur, ob dieses Zeichen hier ein schlichter Zufall ist? Spricht’s von des Mörders Gier?
    Und ob der dunkle Weg, den dieses Halmbett weist, Euch siegen läßt oder Euch in den Abgrund reißt.«
    »Besser, man wüßte es sofort«, meinte Adamsberg und stellte das Hirschgeweih auf den Boden. »Ich sage Danglard Bescheid, daß wir noch ein Weilchen in den normannischen Wiesen bleiben.«

25
    Die Katze bewegte sich durch die Brigade von einem sicheren Punkt zum nächsten, von Knie zu Knie, vom Schreibtisch eines Brigadiers zum Stuhl eines Lieutenant, ganz so wie man einen Fluß auf Steinen überquert, ohne sich die Füße naß zu machen. Begonnen hatte sie ihr Katzenleben groß wie eine Faust, als sie Camille auf der Straße nachgelaufen war, und unter dem Schutz von Adrien Danglard hatte sie es weitergeführt, der gezwungen gewesen war, das Tier schließlich in der Brigade unterzubringen. Denn die Katze kam nicht allein zurecht, ihr fehlte gänzlich jenes leicht verächtliche Bewußtsein von Unabhängigkeit, das die Größe von Katzenwesen ausmacht. Und obwohl sie ein unversehrtes männliches Tier war, war sie die Verkörperung der Abhängigkeit und hatte überdies ein permanentes Schlafbedürfnis. »Die Kugel«, so nämlich hatte Danglard sie getauft, als er sie einst aufgelesen hatte, war das ganze Gegenteil eines Totemtiers, noch dazu einer Brigade von Bullen. Die Mannschaft löste sich ab beim Management dieser Masse aus Fell, Trägheit und Scheu, die von einem verlangte, daß man sie überallhin begleitete, zum Fressen, zum Trinken oder zum Pissen. Obendrein hatte sie ihre Vorlieben, wobei Retancourt ganz klar an der Spitze lag. Den Großteil ihrer Tage verbrachte Die Kugel gleich neben ihrem Schreibtisch, ausgestreckt auf dem warmen Gehäuse eines Fotokopierers. Ein Gerät, das man nicht mehr benutzen konnte, ohne das Tier aufzuscheuchen und damit zu Tode zu erschrecken. War die Frau, die sie liebte, nicht da, kehrte Die Kugel zu Danglard zurück, danach in unveränderlicher Reihenfolge zu Justin, Froissy und seltsamerweise Noël.
    Danglard war schon froh, wenn die Katze sich mal bequemte, die zwanzig Meter bis zu ihrem Futternapf zu Fuß zu gehen. Jedes dritte Mal nämlich gab das Tier auf, ließ sich auf den Rücken fallen, so daß man es bis in den Raum mit dem Getränkeautomaten tragen mußte, wo seine Futterschale und die Katzentoilette standen. An diesem Donnerstag trug Danglard Die Kugel wie einen Scheuerlappen, der zu beiden Seiten herunterhängt, überm Arm, als Brézillon anrief. Er suchte Adamsberg.
    »Wo ist er? Sein Mobiltelefon ist nicht eingeschaltet. Oder er geht einfach nicht ran.«
    »Ich weiß es nicht, Monsieur le Divisionnaire. Er ist ganz sicher an einer dringenden Sache dran.«
    »Ganz sicher«, meinte Brézillon höhnisch.
    Danglard setzte die Katze auf die Erde, damit die Wut des Divisionnaire sie nicht noch erschreckte. Die Folgen der Grabungsaktion in Montrouge hatten Brézillon in Harnisch gebracht. Er hatte den Kommissar bereits aufgefordert, diese Spur nicht weiterzuverfolgen, da Grabschänder psychiatrischen Statistiken zufolge niemals Mörder waren.
    »Sie sind ein schlechter Lügner, Commandant Danglard. Teilen Sie ihm mit, daß ich ihn um siebzehn Uhr auf seinem Posten sehen will. Und der Tote in Reims? Sind Sie da immer noch dran?«
    »Abgeschlossen, Monsieur le Divisionnaire.«
    »Und die flüchtige Krankenschwester? Was machen Sie überhaupt?«
    »Die Suchmeldungen sind raus. Innerhalb einer Woche will man sie an zwanzig verschiedenen Orten gesehen haben. Wir überprüfen, wir kontrollieren.«
    »Und Adamsberg, kontrolliert der auch?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ja? Vom Friedhof in Opportune-la-Haute aus?«
    Danglard nahm zwei Schluck Weißwein und machte eine verneinende Geste in Richtung Katze. Die Kugel hatte ganz offensichtlich eine Veranlagung zum Alkoholiker, darauf war zu achten. Wenn sie sich schon mal selbständig bewegte, dann nur zu dem

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