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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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bestellen, kam zurück und setzte sich wieder.
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, sagte er. »Ich rufe Guy direkt an. Ich erkläre ihm die Situation und frage ihn, ob er seinen Vater bitten könnte, uns Handlungsfreiheit zu gewähren.«
    »Das würde gehen?«
    »Ich glaube schon.
    Ein Kind kann bitten stets, sein Vater wird’s erhör’n Und eine Freundschaft nicht mit Schwertes Kraft zerstör’n.«
    »Und der Sohn schuldet Ihnen noch einen Dienst, wenn ich recht verstehe?«
    »Ohne mich wäre er heute kein Énarque {5} .«
    »Aber diesen Dienst würde er nun mir erweisen, nicht Ihnen.«
    »Ich werde ihm erzählen, daß dies hier meine Ermittlungen sind. Daß es eine gute Gelegenheit sei, mich zu bewähren, und Aussicht auf eine Beförderung besteht. Guy wird mir helfen.
    Wie glücklich jener Mensch, der bei Gelegenheit die Schultern von den Lasten seiner Schuld befreit.«
    »Das meinte ich nicht. Mir erweisen Sie einen Dienst, nicht Ihnen.«
    Mit einer sehr eleganten Handbewegung tauchte Veyrenc sein Honigbrot in den Kaffee. Der Lieutenant hatte jene wohlgeformten Hände, wie man sie von alten Gemälden kennt, was sie sogar ein wenig altmodisch erscheinen ließ.
    »Ich und Retancourt sollen Sie doch beschützen, oder?« sagte er.
    »Das hat nichts damit zu tun.«
    »Teilweise schon. Sollte der Todesengel in diesen Fall verwickelt sein, können wir ihn nicht Mortier überlassen.«
    »Abgesehen von dem Hinweis auf die Spritze, haben wir noch immer keinerlei zwingenden Zusammenhang.«
    »Sie haben mir gestern einen Dienst erwiesen, mit der Hochwiese.«
    »Ist es Ihnen wieder eingefallen?«
    »Nein, mein Gedächtnis trübt sich wohl eher. Dennoch, auch wenn der Hintergrund ein anderer ist, die fünf Kerle, die bleiben gleich in dem Bild. Nicht wahr?«
    »Ja, es sind dieselben.«
    Veyrenc nickte und aß sein Brot auf.
    »Soll ich Guy anrufen?« fragte er.
    »Tun Sie das.«
     
    Fünf Stunden später, Adamsberg hatte sich beim Wirt Pflöcke und eine Schnur ausgeliehen und provisorisch ein Areal abgesteckt, lief Mathias mit freiem Oberkörper um das Grab herum wie ein Bär, den man aus dem Schlaf gerissen hatte, damit er zwei Jungen half, eine Beute zu umzingeln. Nur mit dem Unterschied, daß der blonde Riese zwanzig Jahre jünger war als die beiden anderen, die vertrauensvoll auf das fachmännische Urteil des Mannes warteten, der den Gesang der Erde hören sollte. Brézillon hatte wortlos nachgegeben. Der Friedhof in Opportune gehörte ihnen, ebenso Diala, La Paille und Montrouge. Ein weites Gebiet, das Veyrencs Anruf in nur wenigen Augenblicken für sie freigeräumt hatte. Gleich darauf hatte Adamsberg Danglard gebeten, ihnen eine Mannschaft fürs Graben und Ausheben zu schicken sowie zwei Beutel mit Waschzeug und sauberer Kleidung. In der Brigade stand stets Gepäck mit allem Lebensnotwendigen bereit, das man im Fall eines überraschenden Aufbruchs brauchte. Eine praktische Vorkehrung, bei der man sich allerdings nicht aussuchen konnte, was für Kleidungsstücke einem zugeteilt wurden.
    Eigentlich hätte Danglard über Brézillons Niederlage erfreut sein müssen, doch so war es nicht. Die Bedeutung, die der Neue für den Kommissar zu gewinnen schien, löste heftige Schübe von Eifersucht in ihm aus. In seinen Augen ein schwerer Verstoß gegen den guten Geschmack, denn Danglard war bestrebt, seinen Geist von den Niederungen primitiver Leidenschaften fernzuhalten. Zur Stunde aber stand er im Schach und war gereizt vor Verdruß. Da er es gewohnt war, bei Adamsberg unbestrittenen Vorrang zu genießen, wie ein für die Ewigkeit gebauter Strebebogen, kam es ihm überhaupt nicht in den Sinn, daß seine Rolle und sein Platz sich verändern könnten. Daß da ein Neuer aufgetaucht war, brachte seine Welt ins Wanken. Auf der angstbesetzten Wegstrecke, die Danglards Leben war, bedeuteten zwei Dinge ihm Orientierungspunkt, Wasserquelle und Halt, das waren seine fünf Kinder und Adamsbergs Wertschätzung. Ganz abgesehen davon, daß auch ein wenig von der Gelassenheit des Kommissars wie durch Kapillarwirkung in sein eigenes Dasein hinüberströmte. Dieses Privileg zu verlieren, war Danglard nicht gewillt, und deshalb versetzte das Vorrecht des Neuen ihn in große Unruhe. Veyrencs weitläufige, feinfühlige Intelligenz, wie sie sich durch seine melodische Stimme kundtat und durch seine harmonische Visage und sein gewundenes Lächeln mitteilte, konnte Adamsberg durchaus in ihre Netze locken. Obendrein hatte dieser Typ soeben

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