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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Vorwarnung, still und leise macht sie sich davon. Eines schönen Morgens dann ist alles gesagt, die Grenze, an der man noch hätte umkehren können, hat man in der Nacht überschritten und es nicht mal gemerkt: Man sieht nach draußen, eine Frau fährt auf einem Fahrrad vorbei, auf den Apfelbäumen liegt Schnee, Ekel befällt einen, das Jahrhundert ruft.«
    »Das Missionier’n war gestern mir noch höchste Pflicht, die Kanzel aufzugeben, daran dacht’ ich nicht.
    Doch alles nun liegt staubig unter trübem Licht, und meine Robe abzulegen: kein Verzicht.«
    »So in etwa, ja.«
    »Der Verlust der Reliquien kümmert Sie in Wahrheit also gar nicht?« sagte Adamsberg.
    »Wollen Sie, daß er mich kümmert?«
    »Ich hatte einen Tausch im Auge: Ich hätte Ihnen vorgeschlagen, den heiligen Hieronymus wiederzufinden, und Sie hätten mir was über Pascaline Villemot verraten. Ich schätze, dieser Handel interessiert Sie nicht.«
    »Wer weiß? Mein Vorgänger, Pater Raymond, schwärmte für Reliquien, für die von Le Mesnil und für Fetische im allgemeinen. Ich war seinem Unterricht nie gewachsen, aber ich habe viel davon behalten. Und wäre es auch nur seinetwegen, ja, ich suche den heiligen Hieronymus.«
    Der Pfarrer drehte sich um und zeigte auf die Bibliothek hinter sich sowie auf ein dickes Buch, das unter einer Plexiglasscheibe auf einem Chorpult thronte. Auf Danglard übte der alte Band eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.
    »All das hat er mir hinterlassen. Und natürlich auch dieses Buch«, sagte er mit einer respektvollen Geste in Richtung Pult. »Ein Geschenk für Pater Raymond von Pater Otto, als er unterm Bombenhagel in Berlin starb. Interessiert es Sie?« fügte er hinzu und wandte sich zu Danglard um, der den Blick nicht von dem Werk ließ.
    »Ich gestehe, ja. Falls es sich wirklich um das Buch handelt, an das ich denke.«
    Der Pfarrer lächelte, er witterte den Kenner. Er tat ein paar Züge aus seiner Pfeife und ließ so das Schweigen noch etwas andauern, als bereite er den Auftritt einer Berühmtheit vor.
    »Es ist das De sanctis reliquis «, sagte er und kostete seine Ankündigung aus, »in seiner unzensierten Ausgabe aus dem Jahre 1663. Sie können gern hineinschauen, aber benutzen Sie die Pinzette beim Umblättern. Es ist auf seiner berühmtesten Seite aufgeschlagen.«
    Der Pfarrer brach in ein seltsames Gelächter aus, und Danglard ging sofort zum Pult. Adamsberg sah, wie er die Scheibe hochhob und sich über das Werk beugte, der Capitaine würde fortan kein Wort ihrer Unterhaltung mehr mitbekommen, das wußte er.
    »Eines der berühmtesten Werke über Reliquien«, erklärte der Pfarrer dem Kommissar mit einer etwas lässigen Geste. »Es ist sehr viel mehr wert als irgendein Knochen vom heiligen Hieronymus. Aber ich werde es nur verkaufen, wenn es absolut notwendig ist.«
    »Sie interessieren sich also doch für Reliquien.«
    »Ich habe Nachsicht mit ihnen. Calvin nannte die Reliquienhändler ›Abfallkrämer‹, und ich gebe ihm durchaus recht. Doch diese Abfälle verleihen einem heiligen Ort erst seinen Reiz, sie helfen den Leuten, sich zu konzentrieren. Es ist schwierig, sich im Nichts zu konzentrieren. Deshalb auch stört es mich nicht, daß das Reliquiengefäß vom heiligen Hieronymus vor allem Schafsknochen und sogar ein Schweinerüsselknöchelchen enthielt. Pater Raymond amüsierte sich darüber, allerdings verriet er dieses Geheimnis mit dem ihm eigenen Augenzwinkern nur gewissen Freigeistern, die eine so prosaische Offenbarung ertragen konnten.«
    »Wie bitte?« sagte Adamsberg. »Im Schweinerüssel steckt ein Knochen?«
    »Gewiß doch«, meinte der Pfarrer, noch immer lächelnd.
    »Es ist ein kleiner, anmutiger, ebenmäßiger Knochen, sieht ungefähr aus wie ein doppeltes Herz. Nur wenige Leute kennen ihn, deshalb findet sich auch einer unter den Reliquien von Le Mesnil. Er galt als geheimnisvoller Knochen, dem große Bedeutung zugeschrieben wurde. Ebenso hat der Stoßzahn des Narwals uns das Einhorn geschenkt. Die Fabelwelt dient als Zwischenlager für alles, was die Leute nicht kennen.«
    »Sie haben wissentlich Tierknochen in einem Reliquiengefäß gelassen?« fragte Veyrenc.
    Wieder flog die Fliege vorbei, der Pfarrer hob den Arm und formte seine Hand zum Löffel.
    »Was macht das schon?« antwortete er. »Menschenknochen würden Hieronymus ja genausowenig gehören. Damals wurden Reliquien wie Süßwaren verkauft, auf Nachfrage wurde alles mögliche geliefert, so daß der heilige

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