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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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strecken.«
    »Weil er neu ist, weil er nicht wußte, wie er reagieren sollte, oder weil der Tisch zwischen den beiden stand.«
    »Weil er sanftmütig ist. Der Kerl hat noch nie im Leben seine Fäuste benutzt. So was interessiert ihn nicht. Diese Art von Job überläßt er lieber den Brutalos. Der hat niemanden umgebracht.«
    »Dann wäre Veyrenc also nur deshalb hier, um herauszukriegen, wie der fünfte Kerl hieß?«
    »Ich glaube, ja. Und um den fünften Kerl wissen zu lassen, daß er Bescheid weiß.«
    »Ich bin nicht sicher, ob Sie recht haben.«
    »Ich auch nicht. Sagen wir, es ist das, was ich hoffe.«
    »Was machen wir mit den beiden anderen? Wir warnen sie nicht?«
    »Noch nicht.«
    »Und der fünfte?«
    »Ich nehme an, der fünfte ist groß genug, um sich selbst verteidigen zu können.«
    Danglard stand kraftlos auf. Seine Wut auf Brézillon, danach Devalon und danach Veyrenc, der Schrecken eines weiteren offenen Grabes und der viele Wein hatten ihn geschwächt.
    »Kennen Sie ihn«, fragte er, »den fünften?«
    »Ja«, sagte Adamsberg und tauchte seinen Finger wieder in das leere Glas.
    »Das waren Sie.«
    »Ja, Capitaine.«
    Danglard nickte und wünschte eine gute Nacht. Man glaubt etwas zu wissen, aber zuweilen ist es unerträglich, wenn es einem bestätigt wird. Nachdem Danglard gegangen war, ließ Adamsberg fünf Minuten verstreichen, stellte dann sein Glas auf die Bar und stieg die Treppe hinauf. Vor der Tür zu Veyrencs Zimmer blieb er stehen und klopfte. Der Lieutenant lag lesend auf seinem Bett.
    »Ich muß Ihnen was Trauriges sagen, Lieutenant.«
    Veyrenc blickte aufmerksam hoch.
    »Ich höre.«
    »Fernand der Grindige und Dicker Georges, erinnern Sie sich an die?«
    Veyrenc schloß kurz die Augen.
    »Nun, sie sind tot. Alle beide.«
    Der Lieutenant nickte, gab aber keinen Kommentar.
    »Sie dürfen mich fragen, wie sie gestorben sind.«
    »Wie sind sie gestorben?«
    »Fernand ist in einem Swimmingpool ertrunken, Dicker Georges ist bei lebendigem Leibe in seiner Hütte verbrannt.«
    »Unfälle also.«
    »Das Schicksal hat sie gewissermaßen eingeholt. Ungefähr wie bei Racine, oder?«
    »Vielleicht.«
    »Gute Nacht, Lieutenant.«
    Adamsberg schloß die Tür und blieb regungslos im Flur stehen. Er wartete fast zehn Minuten, dann hörte er, wie Veyrencs veränderte Stimme erklang.
    »Das Los der Grausamen, sie enden in der Gruft. Traf sie der Götter Blitz? War’s der Verbrechen Last, daß bleich sie liegen nun in kühler Grabesluft?«
    Adamsberg vergrub die Fäuste in den Taschen und entfernte sich schweigend. Er hatte ein bißchen dick aufgetragen, um Danglard zu beruhigen. Veyrencs Verse jedoch hatten nichts Sanftes an sich. Haß und Rache, Krieg, Verrat und Tod, so sah Racines Welt aus.

29
    »Wir gehen taktvoll vor«, sagte Adamsberg und parkte vor dem Pfarrhaus in Le Mesnil. »Einem Mann, der den Reliquien des heiligen Hieronymus nachtrauert, wollen wir nicht noch mehr zusetzen.«
    »Ich frage mich«, sagte Danglard, »ob den Mann nicht vielmehr die Tatsache erschüttert hat, daß die Kirche in Opportune einen Stein auf den Kopf eines Gemeindemitglieds hat fallen lassen.«
    Der Vikar, der sie ziemlich abweisend empfing, führte sie in ein kleines, überheiztes und düsteres Zimmer unter einer niedrigen Balkendecke, wo der Pfarrer der vierzehn Gemeinden in Zivil und mit krummem Rücken vor dem Bildschirm eines Computers hockte und tatsächlich wie ein gewöhnlicher Mann aussah. Er stand auf, um sie zu begrüßen, ein eher häßlicher Mann sogar, energisch und mit rotem Gesicht, der mehr an einen Urlauber als an einen Depressiven erinnerte. Allerdings zuckte fortwährend eines seiner Augenlider, wie die Backe eines Froschs, was darauf schließen ließ, daß seine Seele vor innerer Unruhe bebte, wie Veyrenc gesagt hätte. Damit man ihnen dieses Gespräch gewährte, hatte Adamsberg mehrmals betont, es ginge um den Diebstahl der Reliquien.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Pariser Polizei wegen eines Reliquiengefäßes bis nach Le Mesnil-Beauchamp kommt«, sagte er und reichte dem Kommissar die Hand.
    »Ich mir auch nicht«, gab Adamsberg zu.
    »Zumal Sie auch noch der Chef der Mordbrigade sind, ich habe mich erkundigt. Wirft man mir irgend etwas vor?«
    Adamsberg war froh, daß der Pfarrer sich nicht in der schwer verständlichen und immer leicht singenden Sprache der Kirchenmänner ausdrückte. Jener traurige Singsang löste nämlich eine unwiderstehliche Melancholie in ihm aus, die ihn

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