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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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man für kostbarer hält als andere. Doch weder Élisabeth noch Pascaline haben sich jemals darüber beschwert, daß ihnen nachgestellt würde.«
    »Was haben sie Ihnen denn erzählt, so oft, wie sie herkamen?« fragte der Kommissar.
    »Beichtgeheimnis«, antwortete der Pfarrer und hob die Hand. »Tut mir leid.«
    »Was bedeutet, daß sie sehr wohl etwas zu sagen hatten«, warf Veyrenc ein.
    »Jedermann hat irgendwas zu sagen. Das heißt ja nicht, daß es zwangsläufig hörenswert ist, und ein Grund zur Schändung ist es schon gar nicht. Sie haben doch bei Hermance übernachtet? Haben Sie sie gehört? Sie erlebt nichts im eigentlichen Sinne, aber sie kann den ganzen Tag darüber reden.«
    »Ehrwürdiger Vater, Sie wissen genausogut wie ich«, sagte Adamsberg in sanftem Ton, »daß das Beichtgeheimnis unter bestimmten Bedingungen weder zulässig noch rechtmäßig ist.«
    »Nur im Fall eines Mordes«, wandte der Pfarrer ein.
    »Ich glaube, das ist hier der Fall.«
    Der Pfarrer zündete seine Pfeife wieder an. Man hörte, wie Danglard eine schwere Seite umblätterte, während die Fliege, kaum ruhiger geworden, weiter dröhnend herumflog und gegen die Fensterscheiben prallte. Danglard wußte, daß der Kommissar deshalb so weit ausholte, weil er die innere Sperre des Pfarrers durchbrechen wollte. Adamsberg war ein hervorragender Überwinder von Hindernissen, er schlich sich in den Widerstand der anderen mit der heimtückischen Macht eines Rinnsals. Er hätte einen großartigen Pfarrer, Geburtshelfer oder auch Seelenentlüfter abgegeben. Nun stand auch Veyrenc auf und lief um den Tisch, um sich das Werk anzusehen, das Danglard dermaßen in Anspruch nahm. Widerwillig, wie ein Hund seinen Knochen teilt, zeigte der Commandant es ihm. Von den heiligen Reliquien und allem Gebrauch, welcher von ihnen gemacht werden kann für die Gesundheit des Körpers wie auch des Geistes, nebst nützlichen Medikationen, die sich aus ihnen gewinnen lassen, um das Leben zu verlängern. Von einstmaligen Irrtümern gereinigte Ausgabe.
    »Was ist so Besonderes an dem Buch?« fragte Veyrenc leise.
    »Das De reliquis ist sehr bekannt«, flüsterte Danglard, »schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Kirche hat es verboten, wodurch es sofort populär wurde. Etliche Frauen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie in ihm gelesen hatten. Und das hier, das ist die Ausgabe von 1663, sehr gesucht.«
    »Warum?«
    »Weil sie den Originaltext wiederherstellt, in welchem jenes teuflische Mittel stand, das die Kirche verdammt hatte. Aber lesen Sie doch selbst, Veyrenc.«
    Danglard sah zu, wie der Lieutenant sich über der aufgeschlagenen Seite abmühte. Der französische Text war furchtbar unverständlich.
    »Er ist kompliziert«, sagte Danglard mit einem feinen Lächeln der Zufriedenheit.
    »Also kann ich ihn nicht verstehen, und Sie werden ihn mir auch nicht erklären.«
    Danglard zuckte mit den Schultern.
    »Vorher müßte ich Ihnen noch ein paar andere Dinge erklären.«
    »Ich höre.«
    »Nun, Sie sollten besser wieder gehen, Veyrenc«, murmelte Danglard. »Niemand fängt Adamsberg ein, genausowenig wie man den Wind einfängt. Wenn Sie versuchen, ihm Ärger einzuhandeln, müssen Sie erst an mir vorbei.«
    »Das kann ich mir denken, Commandant. Aber ich versuche überhaupt nichts.«
    »Jungs sind Jungs. Sie sind aus dem Alter raus, wo Sie sich mit deren Keilereien abgeben, und er auch. Bleiben Sie, und tun Sie Ihren Job, oder verschwinden Sie.«
    Veyrenc schloß kurz die Augen und ging wieder an seinen Platz auf der Bank zurück. Das Gespräch mit dem Pfarrer war weitergegangen, und Adamsberg schien enttäuscht.
    »Sonst war da wirklich nichts?« beharrte der Kommissar.
    »Nichts, außer bei Pascaline diese ewige Angst vor der Homosexualität.«
    »Die beiden schliefen aber nicht miteinander?«
    »Die schliefen mit niemandem, weder mit Männern noch mit Frauen.«
    »Und über Hirsche haben sie mit Ihnen auch nie geredet?«
    »Nein, nie. Warum?«
    »Das ist Oswalds Idee, er bringt alles ein bißchen durcheinander.«
    »Oswald, und das ist kein Beichtgeheimnis, ist ziemlich sonderbar. Nicht, daß er wie seine Schwester den Verstand verloren hätte, aber er hat keinen Draufblick auf die Dinge, falls Sie wissen, was ich meine.«
    »Und Hermance? Hat die Sie auch öfter aufgesucht?«
    Die Fliege, aus Leichtsinn oder Provokation, flog erneut auf das warme Gehäuse des Computers zu und lenkte den Pfarrer ab.
    »Vor langer Zeit war sie mal hier,

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